Was die Aufnahme neuer olympischer Distanzen für Deutschlands Kadersystem bedeutet, welche Chancen sich für Sprinter*innen ab kommender Saison ergeben und warum frühe Spezialisierung von den Nachwuchs-Bunbdestrainern kritisch gesehen wird.
© Tino Henschel
Als zentrales Instrument im Leistungssport sorgt die Kaderförderung für die gezielte Unterstützung der Aktiven über Lehrgangs-, Diagnostik- und Trainingslagermaßen sowie für ausgewählte Wettkämpfe zum Erreichen gemeinsam vereinbarter Ziele. Die für eine Berufung in die verschiedenen Bundeskader für die Saison 2025/26 im Beckenschwimmen erforderlichen Voraussetzungen hat der Deutsche Schwimm-Verband e.V. (DSV) nun in seinen neuen Kaderbildungsrichtlinien veröffentlicht.
Kaderbildungsrichtlinien 2025/26
Erstmals ist der Kaderstatus auch über Zeiten auf den 50m-Strecken im Schmetterlings-, Rücken- und Brustschwimmen zu erreichen, nachdem diese Disziplinen kürzlich in das olympische Programm ab 2028 aufgenommen wurden. „Ich begrüße die IOC-Entscheidung ausdrücklich, sie ist für uns Chance und Auftrag zugleich. Dementsprechend haben wir zeitnah reagiert und die Kadernormen so gestaltet, dass die neuen Strecken nahtlos in unser bestehendes System integriert sind“, sagte Stephan Wittky, Bundestrainer Kurz- und Mittelstrecke.
Die Athlet*innen sollen so frühzeitig gezielte Impulse für den kommenden Olympiazyklus setzen können – sowohl im Training als auch in der strategischen Ausrichtung. „Die gestiegenen Anforderungen an technische Präzision und Grundschnelligkeit rücken dabei stärker in den Fokus. Elemente wie Starts, Unterwasserphasen mit Delfinkicks, Wenden, Übergänge und die technische Umsetzung im hohen Frequenzbereich müssen in maximaler Qualität abgebildet werden. Diese Fähigkeiten sind entscheidend für die Sprintleistung und leisten zugleich einen wichtigen Beitrag zur Gesamtentwicklung“, so Wittky.
100m-Strecken bleiben im Fokus, allein schon wegen der Staffeln
Im Erwachsenenbereich eröffnet die Aufnahme der 50m-Strecken perspektivisch zwar auch die Möglichkeit einer klareren Spezialisierung auf diese Distanzen. „Gleichzeitig bleiben die 100m-Strecken – gerade mit Blick auf internationale Staffeln – ein zentrales Element innerhalb unseres Gesamtkonzepts. Sie bilden weiterhin die entscheidende Schnittstelle zwischen individueller Sprintleistung und Teamerfolg“, betonte Wittky. „Unser Ziel ist es, individuelle Stärken sichtbar zu machen und diese innerhalb eines klaren, fairen und leistungsbasierten Systems gezielt zu entwickeln – auf dem Weg zu einer starken, vielseitigen Nationalmannschaft.“
Aktuell werden im DSV rund 500 Athlet*innen als Bundeskader unterstützt. Die Berufung in den neuen Olympia-, Perspektiv-, Ergänzungs-, oder Nachwuchskader ab 01. November 2025 erfolgt dann nach Ende des Nachweiszeitraums am 30. August auf Grundlage der neuen Kriterien.
Trotz neuer Kaderbildungsrichtlinien: Frühe Spezialisierung nicht zielführend
Auch und insbesondere für den Nachwuchsbereich stellt sich den hierfür zuständigen Trainer*innen die Aufgabe, diese neue Entwicklung sinnvoll in bestehende Ausbildungsstrukturen einzubinden. „Wir sehen die 100m-Strecke weiterhin als zentrale Bezugsgröße zur Einschätzung von Sprintpotenzial – sowohl im Hinblick auf Rennausdauer, Technikstabilität als auch im Kontext von Staffelrelevanz und internationaler Mehrfachbelastung“, betonen die Bundestrainer Carsten Gooßes und Hannes Vitense. „Eine zu frühe Spezialisierung allein auf 50 Meter ist aus unserer Sicht nicht zielführend. Vielmehr sollte eine spätere Fokussierung auf diese Distanzen auf einem stabilen Fundament über die 100 Meter aufgebaut werden.“
International erfolgreiche Vorbilder wie Caeleb Dressel, Sarah Sjöström oder auch Britta Steffen belegen diesen Weg:
- Dressel schwamm in der Jugend starke 200m-Zeiten und trainierte über Jahre mit hohen Intensitäten und Umfängen, bevor er sich auf 50m und 100m spezialisierte.
- Sjöström absolvierte bereits als Jugendliche regelmäßig Einheiten mit 5.000 bis 6.000 m Umfang – mit Fokus auf Technik und Qualität.
- Britta Steffen entwickelte sich ebenfalls über die 200m und baute ihre Sprintstärke später gezielt aus – mit Erfolgen über 100m und 50m auf höchstem Niveau.
Mit Blick auf die bundeseinheitlichen Landeskaderkriterien und die NK2-Normen sehen die Bundestrainer Abstimmungsbedarf. „Es braucht jetzt einen offenen, sachlichen Austausch zwischen den Landesverbänden, den Landestrainer*innen und dem DSV, um zu klären, wie die neuen olympischen Anforderungen sinnvoll in die Förderstruktur eingebunden werden können“, so Vitense. „Unser Ziel ist es, eine Lösung zu finden, die sowohl der neuen Disziplinenlogik als auch den Grundprinzipien der langfristigen Nachwuchsentwicklung gerecht wird. Wir freuen uns auf die weitere Diskussion und darauf, diesen Prozess gemeinsam zu gestalten.“