Zehn erstaunliche Fakten der Olympischen Spiele in Tokio 1964

Raik Hannemann
Raik Hannemann
09:12

Die Olympischen Spiele in Tokio 1964 sind schon mehr als ein halbes Menschenleben her. Da die Sportwelt auf eine zweite Austragung in Japans Hauptstadt wegen der Coronavirus-Pandemie derzeit ein zusätzliches Jahr bis 2021 (23. Juli – 08. August) warten muss, bleibt Zeit für einige erstaunliche Erinnerungen.

Heute gibt es fünfmal mehr Medaillen zu gewinnen

1. Die Olympischen Spiele 1964 in Tokio waren innovativ: Modernste Technik zur Ergebnisermittlung und Datenübertragung zur Zuschauerinformation machten die Spiele zum ersten vollelektronischen Event der Sportgeschichte, im Schwimmbecken gab es erstmals Zeitmessmatten. Zudem wurde damals Japans Traditionssport Judo erstmals olympisch, nur für die Männer allerdings. Dazu spielten beide Geschlechter auch erstmals Hallen-Volleyball. Es war der erste olympische Mannschaftssport für Frauen überhaupt. Damals gab es insgesamt 63 Wettbewerbe in 20 Sportarten. Zum Vergleich: 2021 sind 339 Wettbewerbe in 33 Sportarten angesetzt. Also mehr als fünfmal so viele. Von den 5.151 Teilnehmer*innen waren nur 678 Frauen. Heute ist das Verhältnis bei doppelt so vielen Teilnehmer*innen nahezu ausgeglichen.

2. Die Olympischen Spiele 1964 in Tokio waren definitiv kühler: Vor 56 Jahren fanden die Olympischen Spiele erstmals in der Historie außerhalb Europas und Nordamerikas statt, allerdings vom 10. – 24. Oktober. Damals diktierte noch nicht das Fernsehen die Zeitpläne, quälende Hitze war daher im Herbst kein Thema gewesen. Die durchschnittlichen Temperaturen liegen im Herbst bei 20 Grad und damit um zehn Grad niedriger als im Juli/August. Die Schwimmwettbewerbe müssen 2021 um sieben Uhr morgens gestartet werden, weil es sonst unerträglich wird im fast 30 Grad warmen Wasser.

Bei den Olympischen Spielen in Tokio 1964 begann der Gigantismus

3. Die Olympischen Spiele 1964 in Tokio waren teuer: Organisatorisch setzte Japan neue Maßstäbe, die Gastfreundschaft war zudem so überwältigend, dass man von den „Happy Games“ sprach. Es waren mit 7,5 Milliarden D-Mark an Kosten aber auch die teuersten Spiele bis dahin. Auch die Inbetriebnahme des Shinkansen-Schnellzuges kurz vorm Olympiastart (obwohl es in Osaka gar keine Olympiawettbewerbe gab) zeugt vom Beginn einer Entwicklung hin zum Gigantismus, der heute zum echten Problem für die Bewegung geworden ist. Dabei hatte das IOC sogar noch China, Nordkorea, Indonesien, Nordvietnam und Südkorea von der Teilnahme in Tokio ausgeschlossen – ein trauriger Negativrekord. Diese Länder nahmen im Jahr zuvor an den vom IOC geächteten GANEFO-Spielen in Jakarta teil, die Indonesien damals zu einer Gegenbewegung der olympischen aufbauen wollte. Zudem war 1963 Südafrika wegen seiner Rassenpolitik vom IOC ausgeschlossen worden (der Bann lief noch bis 1992).

4. Die Olympischen Spiele 1964 in Tokio waren politisch aufgeladen: Der Vietnam-Krieg eskalierte in jenem Jahr durch erste Bombardements seitens der USA (dort war im Jahr zuvor Präsident John F. Kennedy ermordet worden). In der Sowjetunion wurde während der Spiele Nikita Chruschtschow entmachtet und durch Leonid Breschnew abgelöst. Deutschland trat nach dem Mauerbau letztmals mit einer gemeinsamen Mannschaft an (siehe auch Punkt 5). Zum Kalten Krieg passte dann auch, dass das olympische Feuer von Yoshinori Sakai entzündet wurde. Der Student war in Hiroshima am 06. August 1945 geboren worden – am Tag des Abwurfs der ersten Atombombe also.

„Freude, schöner Götterfunken“ wurde als Hymne bei deutschen Siegen abgespielt

5. Die Olympischen Spiele 1964 in Tokio waren für Deutschlands gemeinsame Mannschaft schwierig: „Wir waren nur auf dem Papier eine Mannschaft, in der Realität waren wir getrennt“, erinnert sich Willi Holdorf. Teams mit Athlet*innen aus Ost und West gab es tatsächlich nur in den Schwimmstaffeln. Trainiert wurde zu unterschiedlichen Zeiten, die Sportler*innen von Funktionären und Stasispitzeln bewacht. Seit dem Mauerbau herrschte nämlich politisch Eiszeit, Nato-Länder verweigerten DDR-Sportler*innen die Einreise, die BRD brach die Sportbeziehungen zur DDR ab. Trotzdem ein Team zusammenzustellen nach 44 Qualifikationswettkämpfen, endete oft in einer Farce .

Wer die meisten Sportler*innen für die Mannschaft stellte, durfte auch den Chef de Mission stellen. Das war das größte Politikum. Am Ende wurde es DTSB-Mann Manfred Ewald und nicht NOK-Chef Willi Daume, weil die DDR 194 Athlet*innen dabei hatte, die Bundesrepublik 177. Vor allem, weil sich das DDR-Hockeyteam (18 Teilnehmer) nach vier Spielen mit einem Tor mehr durchgesetzt hatte. In Tokio waren die West-Athlete*innen mit 36 Medaillen dann übrigens aber erfolgreicher als die aus dem Osten (19).

“Nach den Spielen gab es keine Berührungspunkte mehr zwischen West und Ost.”

Die Fahne war damals schwarz-rot-golden mit weißen Olympiaringen im roten Streifen, als Hymne wurde Ludwig van Beethovens „Freude, schöner Götterfunken“ (4. Satz seiner 9. Sinfonie) gespielt. „Nach den Spielen gab es keine Berührungspunkte mehr. Erst nach der Einheit wurden mehrere Sportler von Industriellen zu einer Reise in die USA eingeladen“, erzählte Ingrid Krämer-Gulbin. „Da gab es ein Wiedersehen, und wir haben viele Freundschaften geknüpft.“

Wasserspringerin Ingrid Krämer war die deutsche Fahnenträgerin

6. Die Olympischen Spiele 1964 in Tokio produzierten trotzdem unvergessene deutsche Stars: Einen der mitreißendsten Zehnkämpfe der Olympia-Historie bot Willi Holdorf: Zehn Meter vor dem Ziel im abschließenden 1.500-m-Lauf begann der damals 24-Jährige zu taumeln rettete sich aber ins Ziel und brach dort zusammen.

Neben Holdorf waren die Springreiter (Legende Hans Günter Winkler gewann hierbei sein viertes Olympia-Gold), die Dressurreiter, der Rad-Bahnvierer, Hürdenläuferin Karin Balzer, Segler Willi Kuhweide und Wasserspringerin Ingrid Krämer erfolgreich. Die Dresdenerin durfte nach Doppelgold 1960 übrigens die Fahne tragen bei der Eröffnungsfeier. Schwergewichtsboxer Hans Huber hatte erst im Finale gegen den späteren Profi-Weltmeister Joe Frazier verloren.

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7. Die Olympischen Spiele 1964 in Tokio wurden von den US-Schwimmer*innen beherrscht: Der erst 18 Jahre alte Don Schollander erkämpft sich als erster Schwimmer vier Goldmedaillen bei Olympia, war als erster Mehrfachgewinner sozusagen der Vorgänger von Mark Spitz und Michael Phelps. Und es hätten noch mehr sein können: Schollanders Paradestrecke 200m Freistil gehörte noch nicht zum olympischen Programm, zudem startete er nicht in der siegreichen Lagenstaffel, weil die Trainer Steve Clark bevorzugten. Der Favorit hatte bei den Trails allerdings nur Platz vier belegt. Können. Mit George Haines hatte Schollander übrigens denselben Trainer wie später Mark Spitz, der siebenmalige Sieger von München 1972. Der “Hai von Santa Clara”, ein blonder Schönling mit Hollywood-Attitüde, wurde von den Japanern vor Ort körbeweise mit Fanpost überhäuft.

Schollanders weibliches Pendant, die Australierin Dawn Fraser, gewann über 100m Freistil als erste Frau zum dritten Mal in Folge Gold in einer Schwimm-Disziplin. Unvergessen auch ihr Fahnenklau vor dem Tokioter Kaiserpalast im Anschluss an die Wettkämpfe. Wegen dieses Vergehens verbrachte sie eine Nacht in Polizeigewahrsam. Australiens Verband verhängt gar eine Zehn-Jahres-Sperre. Obwohl diese 1968 aufgehoben wurde, klappte es nicht mehr mit einem weiteren Olympiastart. Schollanders gewann in Mexico noch einmal Staffelgold, gemeinsam mit Mark Spitz übrigens.

Beim Schwimmen gab es nur 13 Einzelrennen

8. Die Olympischen Spiele 1964 in Tokio hatten viel weniger Schwimmwettbewerbe als heute zu bieten: Nur 18 Rennen gab es damals in Tokios Schwimmhalle, sieben Einzel für die Männer und sechs Einzel für die Frauen. Alle fünf Staffelsiege gingen zudem an die USA. Deutsche Medaillen gab es feiern für Hans-Joachim Klein (Bronze 100m Freistil), Frank Wiegand (Silber 400m Freistil), Gerhard Hetz (Bronze 400m Lagen), dazu gewann alle drei Männer-Staffeln Silber. 2021 gibt es allein im 37 Rennen, erstmals auch eine Mixedstaffel über 4x100m Lagen.

Die Schwimm-Olympiasieger*innen von 1964:

Strecke Sieger*in Zeit
100m Freistil Don. Schollander (USA) 53,4
400m Freistil Don Schollander (USA) 4:12,2
1500m Freistil Robert Windle (AUS) 17:01,7
200m Rücken Jed Graef 2:10,3
200m Brust Ian O’Brien (AUS) 2:27,8
200m Schmetterling Kevin Berry (AUS) 2:06,6
400m Lagen Richard Roth (USA) 4:45,4
100m Freistil Dawn Fraser (AUS) 59,5
400m Freistil Virginia Duenkel (USA) 4:43,3
100m Rücken Cathy Ferguson (USA) 1:07,7
200m Brust Galina Stepanowa (URS) 2:46,4
100m Schmetterling Sharon Stouder (USA) 1:04,7
400m Lagen Donna de Varona (USA) 5:18,7

Sprintsieger Hayes gewann später auch noch den Super Bowl

9. Die Olympischen Spiele 1964 in Tokio waren die Bühne der Serienstars: Die Sowjetrussin Larissa Latynina verabschiedet sich mit sechs weiteren Medaillen, darunter zum dritten Mal in Folge Einzel-Gold am Boden, vom olympischen Parkett. Mit insgesamt neun Gold-, fünf Silber- und vier Bronzemedaillen ist sie bis heute die erfolgreichste Frau bei Olympischen Spielen.

Ihr Landsmann Wjatscheslaw Iwanow ruderte zum dritten Einer-Gold in Folge, US-Diskuswerfer Al Oerter schaffte ebenfalls den Hattrick. Auf der Aschebahn rannte Bob Hayes (USA) in 9,9 Sekunden als erster Mensch die 100 Meter unter zehn Sekunden, wenn auch mit zu viel Rückenwind. Noch Ende 1964 unterzeichnete er einen Vertrag bei den Dallas Cowboys in der National Football League, gewann mit ihnen 1971 auch den Super Bowl. Dieses Double ist bis heute einmalig. In Tokio ging auch der Stern der Turnerin Vera Caslavska (CSSR) auf, sie gewann dreimal Gold und einmal Silber. Abebe Bikila (Äthiopien) siegte zum zweiten Mal im Marathon, diesmal im Gegensatz zu Rom 1960 allerdings in Schuhen laufend.

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>/div>10. Die Olympischen Spiele 1964 in Tokio waren verklemmt: Inzwischen werden ja über 100.000 Kondome an die Olympiateilnehmer*innen verteilt, meist sind diese nach wenigen Tagen vergriffen. Damals durften Männer und Frauen noch nicht im olympischen Dorf zusammenwohnen. Häuser der deutschen Männer und Frauen lagen extra weit auseinander. Man sah sich höchstens mal beim Essen in der Mensa. „Die Japaner waren unheimlich streng. Als bei uns ein Installateur gebraucht wurde, kam der tatsächlich in Begleitung von zwei Aufpasserinnen“, erzählte Leichtathletin Karin Balzer.

Erstmals wurde vom IOC in Tokio eine Anti-Doping-Kommission installiert. Dopingkontrollen wurden aber noch nicht durchgeführt, obwohl sich die Gerüchte verdichteten, dass synthetisch hergestellte Anabolika geschluckt würden. Zudem wurden „Geschlechtertests“ im Frauensport beschlossen, weil zu viele Sportlerinnen als Männer betrachtet wurden. Das betraf etwa die Leichtathletinnen Tamara und Irina Press (Sowjetunion), die als „Press-Brüder“ verspottet wurden.