Tokio begeistert Schwimmerin Franziska Hentke total, das lässt sich nicht anders sagen. Sogar als das Coronavirus im März den hiesigen Schwimmsport lahmlegte und die Olympischen Spiele um ein Jahr verschoben werden mussten, drehte sich bei der 30-Jährigen daheim alles weiter um Japans Hauptstadt. Die Magdeburgerin bastelte und beschriftete ein Fotoalbum, das von ihrem dreiwöchigen Besuch in der Olympiastadt von 2021 erzählt.
“Ich lasse mich nicht von Dingen runterziehen, die ich nicht beeinflussen kann.”
„Mein Besuch dort ist zwar schon eineinhalb Jahre her, aber jetzt erst hatte ich die nötige Zeit und Muße zur Fertigstellung des Albums. Und ich schaue da sehr gern rein. Von all den vielen Städten, die ich auf der Welt gesehen habe, hat mich Tokio nämlich am meisten beeindruckt“, verrät Hentke. Das Album verkürzt ihr daher wunderbar die lange Zeit bis zum neuen Termin der Olympischen Spiele im nächsten Jahr (23. Juli – 08. August) mit schönen Erinnerungen. Und schürt Vorfreude auf das Wiedersehen.
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Häufige Treffen mit Japanern beim Höhentraining in Spanien
Schon mehrfach hatte Hentke Tokio zuvor bereist, schließlich gastiert hier oft der FINA Weltcup. Im November 2018 durfte die WM-Zweite und Europameisterin nach der Wettkampfwoche aber noch über zwei weitere Wochen dortbleiben. Und mit Japans Nationalschwimmern trainieren.
Zu den Asiaten gibt es einen engen Draht, weil sie oft zur gleichen Zeit wie die Deutschen zum Höhentraining in die Sierra Neveda (ESP) reisen. Bundestrainer Bernd Berkhahn gilt als kontaktfreudig und wissbegierig. Er tauscht sich dann viel mit den japanischen Kollegen aus. Er vermittelte dann auch das gastfreundliche Angebot, Hentke hat damals ganz schnell zugesagt.
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“Um die Mentalität und die City noch besser kennenzulernen, man wird bei Olympia dann ja auch nicht mehr so erschlagen von den vielen Eindrücken einer solchen unglaublichen Stadt”, erzählt sie. Außerdem begeistert Tokio Franziska Hentke ja schon viel länger.
“Nach den Spielen in Rio 2016 hatte ich kurz damit geliebäugelt, eventuell mit dem Schwimmen aufzuhören. Aber ich wusste schon von meinen Kurzbesuchen, wie unglaublich schön ich diese Stadt finde und wie toll die Spiele dort werden können. Also habe ich mir damals gesagt: Okay, diese vier Jahre machst du dann noch.” Dass sie nun sogar noch ein Jahr mehr dranhängen muss, hakt sie als Betriebsunfall ab: “Ich lasse mich nicht von Dingen runterziehen, die ich nicht beeinflussen kann.“
Respektvoller Umgang miteinander, niemals drängelt jemand
© privatTokio begeistert Franziska Hentke vor allem auch wegen seiner Menschen: „Die Mentalität der Leute dort ist ganz besonders: Die Japaner sind so freundlich und zuvorkommend, dass in dieser engen Millionenstadt alles anders abläuft als bei uns. Keiner drängelt oder schubst in der U-Bahn. Nirgends gibt es Chaos vor Rolltreppen wie bei uns in solchen Situationen. Alle stellen sich hintereinander an und fertig, keiner murrt oder pöbelt. Egal ob alt oder jung, ob wohlhabend oder nicht, alle gehen sehr respektvoll miteinander um“, schwärmt Hentke.
Tokio begeistert Franziska Hentke mit seinen hohen Standards auf allen Ebenen. „Durch den respektvollen Umgang fühle ich mich auch zehnmal sicherer als beispielsweise in Berlin, wenn ich dort auf eigene Faust die Stadt erkunde. Da will man nur schnell aus dem U-Bahn-Tunnel raus, solche Beklemmungen hatte ich in Tokio nie.“ Zudem sei alles so sauber, dass man fast überall auch Boden essen könnte. „Ein Problem bleibt für mich allerdings der Linksverkehr“, gestand Hentke. „Auch in der dritten Woche schaue ich bei jedem dritten Versuch noch zur falschen Seite, bevor ich über die Straße gehe – zum Glück ist da nie etwas passiert.“
Tokio begeistert Franziska Hentke auch mit seinen Schwimmer*innen
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Das Essen in Tokio begeistert Franziska Hentke dagegen nicht immer uneingeschränkt: „In den Hotel ist ja alles auf internationale Gäste angepasst. Dann habe ich aber zwei Wochen im National Training Centre gelebt, das ausschließlich japanische Küche anbietet. Ich mag Sushi und Fisch, das hat mir geholfen. Aber bei manchen Dingen zweifelt man beim ersten Anblick als Europäer schon manchmal, ob man das wirklich essen will. In meinen zwei Wochen dort habe ich aber festgestellt, dass alles besser schmeckt, als es auf den ersten ungewohnten Blick vielleicht aussieht. Gerade die Suppen sind sehr lecker und der Reis ist mit unserem qualitativ gar nicht vergleichbar“, so Hentke. „Während der Spiele wird es im Olympiadorf ja sicher wieder ein internationales Angebot geben. Ich weiß nun immerhin, dass man sich auch an die japanischen Sachen herantrauen kann. Und dass es dann trotz des komischen Aussehens auch vernünftig schmeckt.“
Olympiasiege im Schwimmen nach Nationen
- USA 246
- Australien 60
- Deutschland (inkl. DDR) 55
- Ungarn 28
- Japan 22
- Niederlande 21
- Sowjetunion 18
- Großbritannien 16
- China 13
- Schweden 9
Interessant war natürlich auch der Blick in die Schwimmhallen, wo es ebenso geordnet zugeht wie draußen auf den Straßen. „Im Training selbst habe ich keine riesigen Unterschiede gesehen. Die Japaner schwimmen alles viel intensiver als wir, dafür im Umfang minimal weniger. Das Trainingsniveau war sehr hoch, an den ersten Tagen musste ich ganz schön strecken, um da hinterher zu können – und dabei bin ich nicht bekannt dafür, im Training langsam zu sein“, erinnert sich Hentke: „Ich gehe davon aus, dass die Japaner bei ihren Heimspielen richtig glänzen werden. Sie haben ja auch eine riesige Auswahl an Talenten, vielleicht nicht ganz so wie die USA oder China, aber trotzdem eine erstaunliche Menge. Wenn wir in Deutschland vielleicht ein, zwei gute Leute pro Strecke haben, haben sie in allen Bereichen eine viel größere Dichte, auch in den technisch anspruchsvollen Stilarten. Wenn da mal ein Trumpf nicht sticht, tut es garantiert der nächste. Da muss man immer auch mit neuen Namen rechnen in einem zusätzlichen Jahr. Die Motivation im Gastgeberland der Spiele wird jedenfalls definitiv nicht einen Deut nachlassen.“
Bei mangelnden Sprachkenntnissen hilft nur Google Translate
Als Problem erwies sich bei aller Gastfreundlichkeit immer mal wieder die Sprache: „Japanisch lernen zu wollen, das ist für mich aussichtslos, weil es einfach zu schwer ist“, meint Hentke. Auch mit ihren Englisch-Kenntnissen kam sie nicht immer sehr weit. „Neben Nationaltrainer Norimasa Hirai sprachen nur zwei Sportlerinnen aus der Gruppe richtig Englisch, die anderen nur einzelne Wörter. “Brustschwimmerin Reona Aoiki war meine Wegweiserin und hat mir auch viel gezeigt, konnte aber kaum Englisch, sodass wir fast alles nur über Google Translate geklärt haben. Das war manchmal lustig, weil es auch Missverständnisse gab, hat aber letztlich auch gut funktioniert.“
Deswegen freut sich Franziska Hentke schon jetzt auf ein Wiedersehen, und natürlich auf die Olympischen Spiele. Für die sie sich unbedingt qualifizieren. Und egal, ob es nach EM-Gold und WM-Silber dann auch noch mit dem Gewinn einer olympischen Medaille klappt, wird Japan ein Traumland für Franziska Hentke bleiben. Sie sagt: „Es würde mich reizen, das Land später noch öfter zu bereisen, um dabei dann auch kleinere Städte und Landschaften zu erkunden.“