24 Schwimmer*innen empfehlen sich für die Olympischen Spiele 2024 in Paris, darunter Lukas Märtens, der mit Jahresweltbestzeiten über 400m und 200m Freistil beeindruckte. Auch Josha Salchow und Melvin Imoudu glänzten mit neuen deutschen Rekorden. Deutschlands Schwimmer*innen sind in Topform und bereit für die Herausforderung in Frankreich.
© Jo Kleindl
Während der Olympiaqualifikation im April empfehlen sich 24 Schwimmer*innen für die Spiele in Frankreich. Lukas Märtens, Josha Salchow und Melvin Imoudu sorgen dabei in Berlin für besondere Momente
Ganz anders als beim ersten Mal werden die Olympischen Spiele in Paris (FRA/26. Juli – 11. August) für Lukas Märtens auf jeden Fall. Im Gegensatz zu Tokio (JPN) vor drei Jahren ist diesmal nämlich seine zwei Jahre jüngere Schwester Leonie Märtens für Team D mit dabei. „Ich bin der stolzeste Bruder der Welt“, flüsterte er ihr bei inniger Umarmung nach der ersten von am Ende sogar zwei Normerfüllungen ins Ohr. Zwar wird es nicht der erste Olympiastart eines deutschen Geschwisterpaars im Schwimmen sein. Angela und Klaus Steinbach gewannen 1972 in München sogar beide Olympiamedaillen in den Staffeln, auch Steffen und Markus Deibler starteten 2008 zusammen in Peking (CHN). Trotzdem sagte der 22-Jährige Märtens selbst dazu freudig: „Für uns geht damit ein Traum in Erfüllung.“
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Seine eigenen Leistungen in diesem Frühjahr lassen vermuten, dass dies in Frankreich sogar noch für weitere Träume gelten könnte. Bei den Deutschen Meisterschaften Ende April in Berlin glänzte Lukas Märtens mit zwei fabelhaften Jahresweltbestzeiten, die nicht nur im ZDF-Livestream für großes Staunen sorgten. In 3:40,33 Minuten über 400m Freistil kraulte Märtens nämlich nur ganz knapp am 15 Jahre alten Fabelweltrekord von Paul Biedermann (3:40,07) vorbei. Und der hatte dabei im Jahr 2009 bekanntlich noch zusätzlichen Auftrieb durch die inzwischen verbotenen Hightechanzüge erhalten.
Die Ziele stehen fest
Nicht nur die rasante Renngestaltung – Märtens lag vor der letzten von acht Bahnen noch deutlich unter der Weltrekordzeit – zeigte, dass er inzwischen das Zeug zum Champion hat. Auch seine Reaktionen danach zeugen von einem Reifeprozess. „Das war fast Landesrekord, aber den kann ich vielleicht beim nächsten Mal angreifen“, sagte Märtens beim Beckenrandinterview mit seiner ehemaligen Mannschaftskollegin Annika Bruhn. Der „Landesrekord“ war ein Insiderwitz vor allem für seine Trainingskumpels. Die necken den WM-Dritten intern immer mal wieder damit, dass der ebenfalls aus Sachsen-Anhalt stammende Ex-Weltmeister Biedermann bis heute noch sämtliche Bestmarken auf seinen Paradesdisziplinen hält. Abgeklärt ließ sich Märtens im Mediengespräch später aber nicht gleich eine Erwartungshaltung aufschwatzen. „Dass es jetzt schon so gut läuft, habe ich nicht erwartet. Aber ich setze mir weiter meine eigenen Ziele und tue gut daran, diese im Auge zu behalten“, so Märtens, der in den ersten Monaten dieser Saison wegen gesundheitlicher Probleme einigen Trainingsausfall hatte hinnehmen müssen.
„Es ist und bleibt eine Medaille. Und ich denke, ich kann um alle mitkämpfen.“
In Tokio wäre es Olympiagold gewesen
Vor den Olympic Trials der Schwimmgroßmächte USA und Australien ist eine solche Zurückhaltung immer angebracht. Den Vorstoß in eine neue Zeitrechnung untermauerte Märtens zwei Tage später aber auch noch mit seiner neuen Bestzeit über 200m Freistil. Mit den 1:44,14 Minuten hätte man 2021 in Tokio Olympiagold gewonnen. Gemäß der Vorgabe seines Trainers Bernd Berkhahn wurden die letzten Meter mit erhöhter Frequenz dabei so richtig „in die Wand geprügelt“, so gab es wieder einen kleinen Fortschritt zum Rennen zwei Tage zuvor. Und trotzdem dachte Märtens gleich nach dem Anschlag wieder darüber nach, wo noch etwas mehr herauszukitzeln wäre, um alsbald unter 1:44 zu kommen.
„Mit so einer Zeit kann man in Paris schon mal mit etwas mehr als einer Finalteilnahme liebäugeln“, meinte Märtens in Berlin zu Recht. Die spitzen Hinweise in ausländischen Medienberichten, dass Märtens seine Bestzeiten bisher zumeist im Frühjahr geschwommen sei, dürften am Magdeburger nach zuletzt drei WM-Medaillen in Folge abprallen. Bei der Olympiapremiere in Tokio mag er nach tollen Qualifikationsleistungen die eigenen Erwartungen mit Platz zwölf (400m), elf (1500m) und 17 (200m) zwar nicht erfüllt haben. Aber das wird in Paris nun sicherlich ganz anders werden. Er selbst gibt sich jedenfalls selbstbewusst: „Man sieht über die ganzen Wettkämpfe hinweg, wie ich mich mittlerweile auch mental stabilisiert habe. Ich werde daher auch in Paris meine Leistungen abrufen.“
Drei Einzelstarts für Oliver Klemet
Vorfreude auf die Olympiarennen im Juli schürte aber nicht nur Märtens. Insbesondere Berkhahns Magdeburger Trainingsgruppe lieferte im April reihenweise Topleistungen ab. So beeindruckte Oliver Klemet (SG Frankfurt) ebenfalls mit einer neuen 400m-Bestzeit (3:42,81) und schnappte sich außerdem noch den 800m-Startplatz in Paris. Fürs 10km-Freiwasserrennen war er als WM-Dritter ohnehin schon gesetzt. Damit hat er nun sogar mehr Olympiastarts als die Langstreckenkollegen Florian Wellbrock und Sven Schwarz mit je zwei. „Olli hat eine wahnsinnige Entwicklung hingelegt. Der Junge holt so viel aus seinem Körper raus, ganz egal, ob es die kurzen 400 Meter sind oder die zehn Kilometer. Das ist ein Stück weit inspirierend“, lobte Wellbrock respektvoll seinen Kollegen, nachdem er dessen 800m-Zeit aus der Vorwoche beim DM-Sieg in Berlin nicht unterbieten konnte. Erst auf den 1500m Freistil (14:42,28) zeigte dann die Siegerzeit, dass auch Wellbrock voll im Soll ist bei seiner Olympiavorbereitung. „Alle wissen, dass die 1500 Meter und die 10 Kilometer meine Paradestrecken sind. Deswegen können wir da nun Vollgas geben und uns darauf konzentrieren“, sagte der 26-Jährige, der in Tokio Gold (10km) und Bronze (1500m) gewonnen hatte. Über 800m war er in Japan Vierter geworden.
Volles Programm für Isabel Gose
Die dreifache WM-Medaillengewinnerin Isabel Gose glänzte mit gleich vier Siegen bei den Titelkämpfen in Berlin und sogar einer Bestzeit über 1500m Freistil (15:52,02 Minuten). Den noch zusätzlich erschwommenen vierten Olympiastartplatz über 200m Freistil wird sie aber aufgrund des bereits vollen Programms in Paris gar nicht nutzen. „Das Training zeigt, dass ich eigentlich noch mehr draufhabe. Und es muss ja auch noch ein großer Schritt nach vorn gemacht werden, um ganz vorne angreifen zu können“, sagte sie. Jeweils hinter Gose sicherte sich deren Freundin Leonie Märtens die Startplätze über 400m und 1500m. Als Belohnung fürs Olympiaticket wird sie wie von ihrer Mutter versprochen nun aber eine Chihuahua-Hündin geschenkt bekommen. Diese soll nach der Geburt in zwei Monaten den passenden Namen Paris erhalten.
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Auch Nina Holt (SG Mönchengladbach) entwickelte sich in ihrem zweiten Jahr am erfolgreichsten Bundesstützpunkt in Sachsen-Anhalt prima, die 21-Jährige drückte ihre Bestzeit über 100m Freistil deutlich auf 54,22 Sekunden. Die mehrfache Weltmeisterin im Rettungsschwimmen ist damit nun schnellste Sprinterin im Land und für die Lagenstaffeln in Paris dabei. Zeiten unter 54 scheinen im Sommer durchaus möglich. „Ninas Entwicklung geht in allen Bereichen gut voran, dieses Sprintprojekt macht mir richtig Spaß“, meinte Berkhahn denn auch zufrieden.
Deutsche Rekorde von Salchow und Imoudu
Mehrere deutsche Rekorde wurden während der Olympiaqualifikation verbessert. So kraulte Josha Salchow die 100m Freistil bei den Berlin Swim Open in 47,85 Sekunden, der 24-Jährige vom SV Nikar Heidelberg unterbot damit die zwei Jahre alte Bestmarke des Hamburgers Rafael Miroslaw (47,92). „Wir hatten es in Australien Project 47 genannt. So eine Zeit braucht man, um international konkurrenzfähig sein zu können. Aber ich will natürlich gern noch etwas schneller werden in den kommenden Wochen“, sagte Salchow, der seit anderthalb Jahren in Australien mit den dortigen Topstars trainiert. Im 50m-Sprint blieb ihm trotz neuer Bestzeit (22,06) dann aber nur DM-Rang zwei, mit 21,90 Sekunden sicherte sich Artem Selin (SC Wiesbaden) Titel und Olympiaticket. „Seit drei Jahren bin ich solchen Zeiten immer nur hinterhergerannt. Umso glücklicher bin ich jetzt, dass ich sie nun wieder zeigen konnte“, meinte der Junioren-Europameister von 2019, der seit Jahresbeginn sein Gewicht um rund zehn Prozent auf 90 Kilogramm reduziert hatte.
„Die letzten 15 Meter gehen noch besser, der deutsche Rekord ist eines meiner Ziele für Paris.“
Für eine nationale Bestmarke über 50m Brust sorgte bei der DM in Berlin Melvin Imoudu (Potsdamer SV). Der 25-Jährige blieb in 26,62 Sekunden noch mal zwölf Hundertstel unter seinem zwei Wochen zuvor in Eindhoven (NED) aufgestellten Rekord. Wichtiger war ihm aber, dass er dank der verbesserten Grundschnelligkeit auch die Einzelnorm über 100m mehrfach unterbieten konnte, seine neue Bestzeit steht dort jetzt bei 59,07. „Jetzt freue ich mich auf Paris“, sagte der angehende Polizist. Seine Schwester Denise hatte sich als Volleyball-Nationalspielerin den Olympiatraum nie erfüllen können, wird nun aber als Zuschauerin in Frankreich dabei sein und ihren Bruder bei Olympia anfeuern.
Dramatisches Finale für Marek Ulrich
Lucas Matzerath (SG Frankfurt), Rekordhalter über 100m Brust, konnte aufgrund gesundheitlicher Probleme im April zwar nicht starten. Er war aber schon bei der WM im Februar unter der Norm geblieben. Auch bei Rafael Miroslaw (200m Freistil) und Sven Schwarz (1500m) führten die guten Leistungen in Katar letztlich zu olympischen Einzelstarts. Neu ins Team rückten im April dagegen noch Julia Mrozinski (ECW Eschborn/200m Freistil) und Marek Ulrich (SSG Leipzig/100m Rücken).
Ulrich schaffte die Einzelnorm dabei erst bei einem Time Trial am Ende der Deutschen Meisterschaften. Im Einzelrennen vier Tage zuvor war er noch deutlich über der Einzelnorm und hinter Sieger Ole Braunschweig (SG Neukölln Berlin) geblieben. Entsprechend groß war später dann die Erleichterung, im letzten Moment doch noch auf den Zug nach Paris aufgesprungen zu sein. „Das hätte das letzte Rennen meiner Karriere sein können, aber jetzt kommen doch noch weitere in Paris. Auf den letzten Metern hat mich das Publikum in der SSE getragen, das ist unfassbar“, sagte Ulrich. Das Tattoo mit den Olympiaringen auf dem rechten Oberarm, welches er seit seinem Start in Tokio 2021 trägt, hatte bislang eine offene Stelle. Nun kann er diese mit dem Schriftzug Paris 2024 schließen, wenn der Deutsche Olympische Sportbund ihn Anfang Juni dann auch offiziell nominiert.
Armbruster wird schnellster Schmetterling
Erwartet eng ging es im Kampf um die Staffelplätze zu. Luca Nik Armbruster (SG Neukölln) sicherte sich dabei überraschend den Schmetterlingsplatz in der Lagenstaffel, weil er nur eine Hundertstel über der Einzelnorm blieb. „Ich bin da mit Spaß rangegangen und habe versucht, nicht zu verkrampft oder ängstlich zu sein. Und es hat funktioniert. Ich glaube, es lag an der Lockerheit“, meinte Armbruster. Ein Einzelstart in Vorbereitung auf die Staffel ist für ihn nun genauso noch denkbar wie bei Nina Holt oder auch Anna Elendt. Letzterer fehlten mitten im Prüfungsstress an der Uni über 100m Brust nur zwei Hundertstel. In einem Time Trial in San Antonio (Texas) am Tag danach war sie dann sogar unter der Einzelnorm geblieben, bis Redaktionsschluss wurde dieses Ergebnis aber nicht wie in Berlin dem offiziellen und an World Aquatics übermittelten Wettkampfprotokoll hinzugefügt.
Vollkommen unerwartet kam für viele sicher die Qualifikation von Nicole Maier (Bottrop) für die lange Freistilstaffel. Die US-Studentin hat bislang noch nie einen internationalen Wettkampf für Deutschland bestritten. „Olympia war mein Ziel, auch wenn ich am College immer nur Yard-Bahn schwimme“, sagte Maier. „Vor den großen Namen bei Olympia habe ich jetzt auch keine Angst. Gegen einige bin ich hier in den USA ja auch schon geschwommen.“
24-Köpfiges Team für Paris
Da sich diesmal die Frauen-Staffel über 4x100m Freistil nicht qualifizieren konnte, sind mit insgesamt 24 Aktiven auch etwas weniger dabei als in Tokio (27). „Quantitativ ist das sicher ähnlich. Qualitativ sehe ich uns nun aber besser aufgestellt als vor drei Jahren“, sagte Leistungssportdirektor Christian Hansmann. Er hat dabei sicher auch Weltmeisterin Angelina Köhler (SG Neukölln) im Kopf. Diese arbeitete als bereits Qualifizierte im April lieber noch an der Ausdauer und wagte passend dazu zweimal Experimente über die 200m Schmetterling. In Japan hatten bei den Corona-Spielen von 2021 Sarah Köhler (heute Wellbrock) und Florian Wellbrock jeweils eine Bronzemedaille über 1500m Freistil aus dem Becken gefischt. Diesmal könnte die Ausbeute größer sein, Märtens und Co. reisen jedenfalls in Topform nach Paris.
Zweifel am Anti-Doping-Kampf
Laut Medienberichten wurden 23 Topschwimmer*innen aus China Anfang 2021 positiv auf das Herzmittel Trimetazidin getestet. Die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) stellte die Ermittlungen aber bald darauf wieder ein, da laut chinesischen Angaben Verunreinigungen in einer Hotelküche die Ursache waren. Weltweit wird nun der Mangel an unabhängigen Ermittlungen und Transparenz kritisiert. „Wir fordern eine umfassende Aufarbeitung aller Vorgänge und gegebenenfalls auch Konsequenzen. Nur so kann die Integrität des Sports gewahrt werden“, sagte Leistungssportdirektor Christian Hansmann. Der Sportausschuss im Bundestag stellt mittlerweile sogar Deutschlands jährliche Zahlung von rund 1,25 Millionen Euro an die WADA infrage.