Drei Wochen bis zur Deutschen Meisterschaft – doch wie bringt man sich jetzt in Topform? Erfahre, wie Spitzentrainer Lasse Frank den perfekten Taper-Plan erklärt, worauf es bei der letzten Vorbereitung wirklich ankommt – und warum weniger nicht immer mehr ist.
In drei Wochen ist es so weit. Dann startet mit den Deutschen Meisterschaften in Berlin (01. – 04. Mai) der nationale Saisonhöhepunkt und zugleich finale Showdown im Kampf um die Tickets für die Weltmeisterschaften in Singapur (13. Juli – 03. August).
Bestform ist das ultimative Ziel im Leistungssport. Und die letzten drei Wochen vor dem Wettkampfhöhepunkt sind dafür besonders wichtig. Um für das harte Training im Saisonverlauf belohnt zu werden, braucht es hier Mut zur Pause. Zu hoch darf die Ruhedosis aber auch nicht sein. Berlins Bundesstützpunkttrainer Lasse Frank – Coach unter anderem von Weltmeisterin Angelina Köhler und Rückenspezialist Ole Braunschweig – erklärt diesen Spagat. So taperst du richtig!
Darauf musst du achten, wenn du vorm Wettkampfhöhepunkt taperst
Wie definieren Sie denn das sogenannte Tapern, also jene Phase der reduzierten Trainingsbelastung in der direkten Wettkampfvorbereitung?
Lasse Frank: Es geht hierbei darum, die im Saisonverlauf aufgebauten Fähigkeiten so zuzuspitzen, dass man wirklich die bestmögliche Leistung abrufen und bei einer Meisterschaft auch mehrfach reproduzieren kann – denn das ist heute mit Vorlauf, Halbfinale und Finale und vielleicht auch noch Staffeln im Schwimmen inzwischen gefordert. Ob man es wie die Amis Tapern und bei kurzen Vorbereitungsphasen im Saisonverlauf auch Drop-Tapern nennt oder UWV für Unmittelbare Wettkampf-Vorbereitung wie wir im Deutschen: Es kann letztlich immer nur ein Sammelbegriff sein, denn die Zuspitzung der Form nach der intensivsten Ausbelastungsphase der Saison kurz zuvor ist eine höchst individuelle Angelegenheit. Schon aufgrund der unterschiedlichen Belastungszeiten im Rennen selber übrigens. Ein Beispiel dazu aus meiner Trainingsgruppe: Ole Braunschweig ist über 100m Rücken 53 Sekunden unterwegs, Nele Schulze über 200m Lagen aber 2:13 Minuten. Da kann man nicht mit nur einem Schema arbeiten.
Es geht hierbei darum, die im Saisonverlauf aufgebauten Fähigkeiten so zuzuspitzen, dass man wirklich die bestmögliche Leistung abrufen und bei einer Meisterschaft auch mehrfach reproduzieren kann.
Gibt es wenigstens Faustformeln oder Richtwerte?
Lasse Frank: Die vom Training angestoßenen physiologischen Anpassungen im Körper erfolgen während Ruhepausen bei jedem anders und mit fortschreitendem Alter auch nicht immer gleich. Daher braucht es in den letzten drei Wochen vor dem Rennen stets die individuell abgestimmte Mischung aus Erholung und Intensitäten. Denn totale Ruhe ist hier ja auch nicht zielführend. Bei einem Sprinter mit viel mehr Muskelmasse können auch mal vier Wochen Tapern nötig sein. Ole macht beispielsweise schon etwas eher als andere keine Maximalkraftübungen für seinen athletisch inzwischen sehr ausgeprägten Oberschenkel mehr, damit die Erholungszeit für ihn ausreicht. Als Spitzentrainer*in muss man also jede*n seiner Sportler*innen mit der Zeit so gut kennen und lesen können, dass man weiß, wie weit wann der Erholungsfaktor denn sein muss.
Und was tut man, wenn der Erholungsfaktor zwischendrin nicht stimmt?
Lasse Frank: Die Steuerung erfolgt über Stellgrößen wie Trainingsumfang und -häufigkeit, Intensitäten oder Dauer. Man überprüft den Prozess heute dabei ja ständig mit den Möglichkeiten der Leistungsdiagnostik. Aber auch mit seinem Auge. Und es braucht auch Vertrauen zum Aktiven, der im besten Fall ein gutes Körpergefühl entwickelt und dann mit seinen Aussagen Verantwortung übernehmen kann. So kann man auf Entwicklungen immer richtig reagieren. Zum Beispiel mittels hoher Intensität mobilisieren, wenn jemand Probleme hat, Laktat anzuhäufen. Oder noch mal was in der Ausdauer tun, wenn jemand zu früh zu gut drauf ist. Eine allumfassende Blaupause gibt es aber nicht, denn es gibt ja auch keine Bilderbuchsaison. Jede Krankheit oder Verletzung zuvor beeinflusst immer auch die aktuelle Verfassung eines Aktiven.
Die Steuerung erfolgt über Stellgrößen wie Trainingsumfang und -häufigkeit, Intensitäten oder Dauer.
Also haben Sie mit sieben Athlet*innen in der Gruppe auch sieben verschiedene Taper-Pläne?
Lasse Frank: Im Ernstfall ja. Je näher der Wettkampf kommt, desto individueller werden nun mal die Programme.
Tapern hat auch seine Tücken
Wie viele Taper-Phasen braucht ein*e Trainer*in pro Athlet*in, um sich sicher dabei fühlen zu können?
Lasse Frank: Das hängt davon ab, in welchem Altersbereich man arbeitet. In Nachwuchsbereich läuft der körperliche Entwicklungsprozess des Muskelaufbaus zwar noch, aber die Aktiven sind hier auch tendenziell belastungsverträglicher. Im Spitzenbereich wird intensiver trainiert und zusätzliche Muskelmasse erarbeitet, dementsprechend wird es dann auch beim Tapern spezifischer. Da braucht es mitunter schon ein paar Jahre, bis man den optimalen Zugriff gefunden hat. Und es bleibt immer auch ein Prozess. Wir haben beispielsweise im Corona-Jahr, in dem wir ja nicht in die Höhe oder in die Sonne konnten, auch mal andere Dinge ausprobiert, um Reize zu setzen. Und stellten dann fest, dass einige nach der Athletik in der Höhenkammer nun längere Pausen vor einem Wettkampf benötigen. Um die nötige Sicherheit zu bekommen und die Inhalte zu treffen, halte ich es für wichtig, dass Aktive und Trainer*innen einen gesamten Olympiazyklus zusammenzuarbeiten. Denn je besser das Zusammenspiel untereinander läuft, desto erfolgreicher wird man.
Die Veränderung des Stresslevels durchs Tapern birgt immer auch Gefahren, der Körper reagiert bei zu abrupten Pausen nicht immer nur gleich positiv.
Tapern: Ein Beispiel für die Mittelstrecke 200–400m:
4 Wochen vorher: 10 Einheiten Gesamtumfang 55-60km / 2x Kraft 90min / 2x Stabi-Übungen 30min / 1x Schnellkraft 30min (Sprünge, Medizinball etc.)
3 Wochen vorher: 9-10 Einheiten Gesamtumfang 50km / 2x Kraft 60 min / 2x Stabi-Übungen 20min / 1x Schnellkraft 20min (Sprünge, Medizinball etc.)
2 Wochen vorher: 8-10 Einheiten Gesamtumfang 40-45km / 1x Athletik / 2x Stabi-Übungen 15min / 1x Schnellkraft 15 min (Sprünge, Medizinball etc.)
1 Woche vorher: 8-9 Einheiten Gesamtumfang sehr individuell 35-45 km
Wettkampfwoche: Gesamtumfang individuell 25-40km / Stabi-Übungen/Schnellkraft-Übungen / WK-Erwärmung
Was sind die größtmöglichen Fehler beim Tapern?
Lasse Frank: Die Veränderung des Stresslevels durchs Tapern birgt immer auch Gefahren, der Körper reagiert bei zu abrupten Pausen nicht immer nur gleich positiv. Manche fühlen sich plötzlich müde. Es gab auch schon Aktive, die ohne das gewohnte Trainingspensum plötzlich Krankheitssymptome fühlten. Weniger ist mehr, lautet also nicht immer die alleinige Devise. Auch für diese ruhige Zeit muss jeder herausfinden, was er braucht. Bei einem ist es Yoga, der andere muss sich mit Kumpels ablenken, damit er in der ungewohnt vielen Freizeit nicht plötzlich zu viel grübelt. Die mentale Herausforderung setzt mitunter hier schon ein. Der schlimmste Fehler wäre für mich aber, plötzlich an sich und seiner Arbeit zu zweifeln.