Camping für Tokio: Wieso diese Schwimmerin im Zelt schläft

Raik Hannemann
Raik Hannemann
18:44

Laura Riedemann übernachtet im Höhenzelt

Motivation liefert die Politik in diesen Tagen glücklicherweise genug. „Die Athleten arbeiten an ihren Standorten sehr hart für die Spiele im nächsten Jahr. Ich denke, sie müssen um jeden Preis stattfinden“, hat Japans Olympiaministerin Seiko Hashimoto in dieser Woche gesagt. Und Tokios Bürgermeisterin Yuriko Koike ergänzte am Tag darauf: „Wir müssen die Spiele des nächsten Sommers mit allen Mitteln vorantreiben“. Und wenn Yoshihide Suga nächste Woche wie erwartet zum neuen Ministerpräsidenten des Gastgeberlandes gewählt werden sollte, wird er trotz erheblichen Spardrucks wohl ähnlich formulieren. Laura Riedemann hört das alles nur zu gern, schließlich schläft die Schwimmerin für ihren Olympiatraum derzeit sogar in einem Höhenzelt.

“Es ist nicht zwingend erforderlich, ins Ausland zu fahren und sich durch einen dummen Zufall dort anzustecken.”

Denn was für die Organisatoren und das Internationale Olympische Komitee (IOC) gilt, muss trotz aller Unwägbarkeiten in Zeiten der Coronavirus-Pandemie ja auch für alle Athletinnen und Athleten gelten, die an den auf 23. Juli – 08. August 2021 verschobenen Olympischen Spielen teilnehmen wollen. Die sportlichen Vorbereitungen müssen auch bei ihnen bestmöglich betrieben werden, damit am Ende auch der erhoffte Erfolg herausspringt.

Reisewarnung für Spanien führt zur Planänderung

Riedemann musste dafür gleich nach der kurzen Sommerpause eine Planänderung vornehmen. Eigentlich hatte die 22-Jährige für den Monat September ein längeres Höhentrainingslager in der Sierra Nevada vorgesehen. Doch die steigenden Zahlen bei den Covid-19-Infektionen führten zu einer Reisewarnung für Spanien (und auch für viele Gebiete Frankreichs). Während andere Olympiakader sich in den Alpen Ersatzquartiere in adäquater Höhenlage suchten, setzt Riedemann erst einmal auf das Höhenzelt.

Das vom Olympiastützpunkt zur Verfügung gestellte und fast 4000 Euro teure Gadget eines Freiburger Anbieters steht bei ihren Eltern zu Hause in Halle/Saale im Kinderzimmer, sie verbringt die ganze Nacht darin. Ein Hochleistungsgenerator entzieht darin der Umgebungsluft Sauerstoff und simuliert so eine Höhe von derzeit 2.000 Meter. Sleep high, train low heißt die Methode bei den Hypoxie-Experten unter den Sportwissenschaftler*innen.

Hypoxie heißt Sauerstoffmangel, welcher nach gewisser Zeit zur verstärkten Produktion roter Blutkörperchen und damit später zu erhöhter Kapazität von Sauerstoffaufnahme und -transport führt. Und damit auch zu besseren Leistungen. „Eigentlich wollte ich das Zelt nur zwei Wochen nutzen, um das Camp in der Sierra Nevada bestmöglich vorzubereiten. Jetzt werde ich es mit neuen Höhenlevel noch zwei weitere Wochen nutzen, vielleicht auch noch insgesamt sechs“, verrät Riedemann. „Zusätzlich werden ich noch ein paar Athletikeinheiten in der Höhenkammer unserer Uni machen.“ Denn zehn Stunden dünne Luft am Tag sollten es sein zur Erzielung des gewünschten Effekts.

Daheim bleibt auch mehr Zeit fürs Studium

„Es ist das erste Mal, dass ich so ein Höhenzelt nutze. Ich konnte mir das erst gar nicht vorstellen“, sagt Riedemann. „Wenn es funktioniert und bei mir wirklich die erhofften Effekte auslöst, dann könnte man das künftig auch zusätzlich immer wieder mal einschieben.“ Denn so kann sie daheim bleiben und ihr Lehramtsstudium (Sozialkunde und Deutsch) weiter vorantreiben. „Zu Hause mache ich doch immer etwas mehr dafür als in einem Trainingslager“, gibt Riedemann zu.

Zudem setzt sie sich zu Hause keinem zusätzlichen Risiko einer Virusinfektion aus. „Natürlich würde schon gern auch mal wieder international starten, aber auch in Deutschland ist gute Konkurrenz da. Es ist daher nicht zwingend erforderlich, ins Ausland zu fahren und sich durch einen dummen Zufall dort anzustecken. Ich nutze mit meiner Trainerin Heike Gabriel lieber erst einmal hier alle Möglichkeiten.“ Und motiviert ist sie in Hinblick auf die erste Olympiateilnahme ohnehin genug, seit sie im Februar die Normzeit über 100m Rücken unterbot.

Die Normknacker im Schwimmen als Übersicht (Stand September 2020):

Normknacker Strecke und Zeit
Marco Koch 200m Brust in 2:09,81
Philip Heintz 200m Lagen in 1:58,92
Sarah Köhler 800m Freistil in 8:29,96
1500m Freistil in 16:03,76
Florian Wellbrock 1500m Freistil in 14:46,61
800m Freistil in 7:49,44
Laura Riedemann 100m Rücken in 59,89
Marius Kusch 100m Schmetterling in 51,54
Jacob Heidtmann 400m Lagen in 4:12,40

* Die Qualifikationsrichtlinien für Tokio 2021 werden vom DSV bis spätestens Oktober veröffentlicht. Die bisher gültigen Normzeiten sollen nicht geändert werden.