Bei den Deutschen Meisterschaften „Kurze Strecken“ der Masters wurde nicht nur schnell geschwommen, Stefan Razeto stellte sogar Weltrekorde auf. Es gab auch sonst tolle Geschichten.
Rekorde, Rekorde, Rekorde. Das waren erst einmal die wichtigsten Ereignisse der 55. Deutschen Meisterschaften „Kurze Strecken“ der Masters im Schwimmen in Stuttgart. Konkret waren es fünf Weltrekorde, die natürlich auch gleichzeitig Europa- und deutsche Rekorde waren, ein weiterer Europarekord sowie 16 deutsche Rekorde. Es ist das Resultat harter Trainingsarbeit, das Resultat von vielen Freizeitstunden und, nicht zu vergessen, auch von viel Geld, das die Beteiligten in ihren Lieblingssport investieren. Aber auch, nach den Worten von Masters-Abteilungsleiterin Ulrike Urbaniak, der hervorragend organisierten Wettkämpfe durch den SV Cannstatt und das reibungslos amtierende Kampfgericht. Was dabei besonders auffiel: Da waren viele Kinder im Spiel. Wir hatten wohl den jüngsten Sprecher aller Zeiten, der selbst bei schwierigen Namen nicht ins Stottern kam, außerdem überreichten Kinder Urkunden und Medaillen. Die Aktiven taten einen Kniefall vor ihnen und standen mit einem Lächeln im Gesicht wieder auf. Das war schon etwas Besonderes.
Aber nun zum Sportlichen: Mit Stefano Razeto vom ST Erzgebirge gab es einen dreifachen Weltrekordler. Über 50m Schmetterling, 50m Freistil und 50m Rücken knackte er die alte Marke in der AK 35. ST Erzgebirge? Kein großer Verein, kein großer Sponsor. Er und seine Frau Luisa – auch sie gewann übrigens Medaillen – starten aus alter Treue für diesen Verein. Luisa ist in Olbernhau geboren, einer kleinen Gemeinde im Erzgebirge. Und Stefano ist Europäer. Eigentlich Italiener, ist er in Belgien geboren und dann mit seinen Eltern ständig aufgrund deren beruflicher Tätigkeit umgezogen. 2009 haben sich die beiden in Frankfurt kennengelernt und sind nun das „schnellste Ehepaar“ Deutschlands. Ihren Wohnsitz haben sie in Frankfurt, beide sind dort in pädagogischen Berufen tätig. Da stehen sie vor mir, berichten mit leuchtenden Augen über ihr Leben, über ihren Sport. Ja, die beiden leben das Schwimmen! Tägliches Training und dabei jeden Tag an die eigenen Grenzen zu gehen ist ihnen wichtig. Sie nehmen deshalb auch an Wettkämpfen der offenen Klasse teil.
Auch Dockhorn und Renner mit Weltrekorden
Der Rückenspezialist Thomas Dockhorn vom SV Halle war der nächste Weltrekordler. Eigentlich steht er ja immer im Schatten seines großen Bruders Klaus, aber dieses Mal gelang ihm mit diesem Rekord die bessere Leistung. Thomas ist Jurist bei der HUK-Coburg. Die beiden haben übrigens noch zwei weitere Brüder, die ebenfalls mal geschwommen sind. Ihr großer Traum: bei einer Meisterschaft mit einer Familienstaffel antreten. Dritter Weltrekordler im Bunde war Lars Renner vom SCW Eschborn. Der Familienvater von zwei erwachsenen Töchtern geht jeden Morgen schon um 06:30 Uhr zum Training, weil er dann die besten Bedingungen vorfindet. 2000 in München wurde er schon einmal Vizeweltmeister, setzte dann 20 Jahre mit dem Sport komplett aus und steigt nun wie Phönix aus der Asche wieder in die höchsten Kreise der Masters auf.
Bei den Frauen reichte es „nur“ zu einem Europarekord durch Dagmar Frese, die über 100m Brust in der AK 65 1:29,64 Minuten schwamm. Aber die Erfolgreichste war wieder einmal Susanne Reibel-Oberle. Sie sprang achtmal ins Wasser und kam ganze sechs Mal mit einem neuen Deutschen Rekord wieder heraus.
Tolle Rennen in der AK 90
Neben den Aktiven ist es bei einem Wettkampf auch nicht ganz unwichtig, wie das Kampfgericht arbeitet. Seit 2016 ist bei jeder Masters-Meisterschaft Kai Mario Falk aus Braunschweig als Starter mit dabei. Wen wundert es da, dass es diesmal nicht einen einzigen Frühstart gab. Er findet die Atmosphäre bei den Masters einfach toll: das Miteinander und das entspannte Verhalten und dass dabei trotzdem der Leistungsgedanke nicht vergessen wird. Selbst ist er früher auch mal geschwommen. Heute steht einmal in der Woche Training auf dem Plan. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass als Schiedsrichter an einem Tag der Präsident des Württembergischen Schwimmverbandes Thorsten Bierkamp amtierte. Auch er hatte ein großes Lob für die Cannstätter übrig, weil es nicht immer üblich ist, die Kampfrichter*innen so zu umsorgen.
Eine ganz besondere Siegerehrung gab es bei den Männern der AK 90. Man muss in den Protokollen schon weit zurückblättern, um in dieser Altersklasse drei Schwimmer auf dem Podest zu sehen. Gottfried Kläring, Fritz Ilgen und Siegfried Springer holten sich hier ihre Medaillen.
Bei den Frauen traten die unverwüstliche Maren Piskora und Ingrid Keusch-Renner an. Letztere schwamm über 100m und 50m Rücken jeweils einen neuen deutschen Rekord. In den Pausen saß sie mit ihren 90 Jahren im Ruheraum und bearbeitete, ausgerüstet mit ihrem Tablet, den Text über die Meisterschaften für den SV Blau-Weiß Bochum – einfach toll. Meisterschaften sind aber nicht nur für die Meister*innen da, sondern auch für Mannschaften, die vermeintlich keine Chance auf vordere Plätze haben. So etwa die Staffel des SFC Nahetal mit ihrem Trainer Stefan Nerbas. Sie gingen in das Rennen über 4x50m Freistil weiblich mit der achtschnellsten Zeit – und kamen mit der Bronzemedaille wieder heraus. Da flossen Freudentränen noch und nöcher, da jubelten sie und fielen sich und ihrem Trainer immer wieder um den Hals. Und völlig aus dem Häuschen war der „Teufel“ Bianka Gertzen aus der AK 25. Wenn man solchen Jubel erlebt, will man am liebsten gleich mitjubeln.
Tolle Rekorde und viele Gänsehaut bei den Masters
Tolle Rekorde und viel Gänsehaut bei den Masters: Fast zum Schluss, bei der Siegerehrung der 4x50m-Staffel der Männer, gab es ebenfalls noch einmal Gänsehaut pur. Wir hatten schon zwei Tage bei der Mannschaft der SSG Saar Max Ritter einen Mann im Rollstuhl sitzen sehen. Nun war er bei der Siegerehrung dabei, weil die Aktiven es so organisiert hatten. Es war Andreas Diehl, der früher in der Bundesligamannschaft geschwommen ist. 1982 war er noch Mitglied der Nationalmannschaft, war Deutscher Jugendmeister. Für seine Verdienste erhielt er die Ehrennadel des Deutschen Schwimm-Verbandes e.V. (DSV). Später gründete er eine Schwimmschule von Anfänger*innen bis zu den Wettkampfschwimmer*innen und betreute dort besonders Kinder mit ADHS und auch die Mannschaft für die Special Olympics. Dann erhielt er die Diagnose ALS – eine tückische Krankheit, die mit Muskelschwund einhergeht. 2017 lag er bereits im Hospiz und fand dort trotz der bereits weit fortgeschrittenen Krankheit heraus, dass in den USA ein neues Medikament entwickelt wurde. Nun geht es ihm wieder besser. Große Freude bereiteten ihm seine Mannschaftskameraden, als sie mit ihm ins große Becken sprangen. Und Dietmar Klee betonte noch einmal die absolute Zielstrebigkeit, die Andreas auszeichnete. Ohne diese positive Einstellung gäbe es ihn nicht mehr.