Gute Erholung ist kein Zufall: Prof. Dr. Thimo Wiewelhove forscht zur Regeneration im Leistungssport. Seine Erkenntnisse helfen aber nicht nur dort.
Für Topleistungen wird neben wirksamen Trainingsreizen immer auch eine korrespondierende Erholungssteuerung benötigt. Das gilt für Profis ebenso wie im Freizeitsport. Denn Anpassungen im Körper, die Kondition oder auch die Muskeln anwachsen lassen, erfolgen erst in der Pause nach Belastungsstimulation. Und Maximalleistungen gelingen am besten im ausgeruhten Zustand. Professor Dr. Thimo Wiewelhove, der an der IST-Hochschule in Düsseldorf den Master-Studiengang Trainingswissenschaft und Sporternährung leitet, gehört zu jenen Expert*innen, die in einem Forschungsverbund von 2012 bis 2021 das „Regenerationsmanagement im Spitzensport“ (kurz: REGman) untersuchten. Ein Gespräch über die wichtigsten Erkenntnisse des Projekts.
Wie misst man den jeweiligen Erholungsbedarf?
Thimo Wiewelhove: Ermüdung ist ein multifaktorieller Zustand mit metabolischen, zentralnervösen, neuromuskulären und auch endokrinen Dimensionen, die in Abhängigkeit von Art, Dauer und Intensität der Belastung sehr stark variieren. Es gibt also keinen einzelnen Marker im Stoffwechsel oder Hormonhaushalt, der den Bedarf an Erholung punktgenau aufzeigen kann. Es hilft da nur ein engmaschiges Monitoring vieler Parameter. Die Wissenschaft arbeitet im Leistungssport dabei auch mit psychometrischen Fragebögen. Im Freizeitsport kann die fortwährende Dokumentation subjektiver Eindrücke aber genauso gut helfen. Im Trainingstagebuch lassen sich Trainingspläne und erbrachte Leistungen samt Befinden leicht abgleichen, sodass Rückschlüsse zum Ermüdungszustand und gegebenenfalls notwendige Änderungen der Belastung möglich werden. Überhaupt lässt sich vieles aus dem Leistungssport auf niedrigerem Level adaptieren. So kann heute jede*r leicht mit der Fitnessuhr den Ruhepuls beobachten und Rückschlüsse daraus ziehen.

Professor Dr. Thimo Wiewelhove
Wie findet man das passende Regenerationsmanagement für sich?
Es gibt nicht die eine ultimative Regenerationsmaßnahme für alle. Ermüdung und Regeneration sind sehr individuell. Bei der Auswahl der Maßnahmen sind stets die Belastungsspezifik der Sportart, die gewünschte Zeitschiene sowie individuelle Möglichkeiten und Vorlieben zu berücksichtigen. Zur Sportspezifik ein Beispiel: Nach einer Einheit mit vielen Schwimmkilometern regeneriert der Körper natürlich ganz anders, als wenn im Kraftraum Maximalgewichte gestemmt wurden. Bei Letzterem droht viel eher Muskelkater. Hier muss die Pause bis zur nächsten Belastung hinterher daher dann gegebenenfalls deutlich länger ausfallen, bis sich die Mikrorisse im Muskelgewebe schließen. Hier wirken dann auch Eisbäder zur Unterstützung der Regeneration tendenziell besser. Nach der langen Schwimmeinheit hat dagegen eher die Energiezufuhr Priorität für die Regeneration, das Eisbad ist hier dann weniger verlockend und hilfreich.
Natürlich ist immer auch zu bedenken, in welchem Zeitraum die Erholungsvorgänge stattfinden sollen. Dieser kann sehr kurz sein zwischen zwei Rennen oder länger ausfallen, zum Beispiel über Nacht. Als Interventionen sind Kaltwasserimmersion, Massage, Powernapping oder Foam-Rolling ebenso beliebt und gängig wie Wärmeapplikationen (Sauna oder Wechselbad), Kompressionsanwendungen oder moderate, rein aerobe Aktivitäten großer Muskelgruppen zur „aktiven Erholung“. Auf gruppenstatistischer Ebene fehlt allerdings eine klare wissenschaftliche Evidenz zur Wirksamkeit einzelner Regenerationsinterventionen oder auch Maßnahmenkombinationen. Subjektive Vorlieben oder Überzeugungen können daher allein schon wegen des möglichen Placeboeffekts zielführend sein.
Passiert beim Regenerieren auch etwas von allein?
Ernährung und Schlaf sind zwar Dinge, die wir ohnehin tun, aber sie sind und bleiben trotzdem die wirkungsvollsten Faktoren bei der Regeneration. Gute Erholung ist daher kein Zufall, wir können ja alles ganz bewusst zu unserem Wohl steuern: Nach umfangsorientiertem Schwimmtraining hilft es dem Körper, wenn wir schnell die Kohlenhydratspeicher wieder auffüllen. Die Einlagerung der Energie schafft der Organismus direkt nach der Belastung nun mal schneller, deshalb sollte die Ernährung hier Priorität haben. Man kann sich auch einen Shake mit vielen Kohlenhydraten und Eiweiß vorbereiten, der auch gut verträglich ist und eingenommen werden kann, wenn man noch nicht so großen Hunger hat oder bei einem Wettkampf noch Pressetermine wahrnimmt. Genauso können wir für eine hohe Schlafqualität sorgen, die uns mit acht bis neun Stunden Dauer bei der Erholung hilft. Zum Beispiel durch Gewöhnungsroutine an die gewünschte Einschlaf- oder Aufstehzeit beim Wettkampf in den Wochen zuvor.
© Jo Kleindl
Müssen Schwimmer*innen wirklich immer ausschwimmen?
Diese Form der aktiven Erholung hilft, schnell auf metabolischer Ebene zu regenerieren und hohe Blutlaktatkonzentrationen zu reduzieren. Wenn ich allerdings eine sehr intensive Trainingseinheit absolviere und dann einen Tag Pause habe, würde ich kein Ausschwimmen mehr empfehlen. Denn hier braucht es die Laktatreduktion ja nicht dringend so schnell. Laktat hat nämlich auch eine wichtige Signalfunktion für den Körper, wenn es um Anpassungsprozesse geht, die man hier dann lieber mal über volle Zeit wirken lassen sollte. Es wurde bei REGman übrigens auch darauf hingewiesen, dass regenerationsfördernde Maßnahmen möglicherweise Anpassungen auf ein Belastungstraining limitieren können, insbesondere bei Kälteanwendungen nach dem Krafttraining gab es hierzu Hinweise. Wir sollten zukünftige Studienergebnisse dazu also auf jeden Fall im Auge behalten.
Was ist mit der guten alten Dehnung, hilft die?
Die Dehnung ist ein klassisches Beispiel für Paradigmenwechsel in der Trainingswissenschaft. Nach dem Zweiten Weltkrieg war statisches Dehnen eine Gesundheitslehre. Ab den Neunzigern hieß es dann: „Bloß nicht dehnen in der Belastungsvorbereitung, weil das die Schnellkraft- und Schnelligkeitsleistung mindert.“ Inzwischen wissen wir, dass zwar maßvolles Stretching im Rahmen einer Mehrkomponentenerwärmung nicht zur Leistungsreduktion führt. Aber ansonsten heißt es klar, dass Dehnung zur Verbesserung der Beweglichkeit, wie sie beispielsweise Schwimmer*innen brauchen, in gesonderten Trainingseinheiten anzusetzen ist. Als Regenerationsmaßnahme führt Stretching aber wohl nur zu kurzfristigen Desaktivierungsprozessen. Und letztlich zu einem psychophysischen Entspannungszustand, der dann einige Zeit anhalten kann. Nach einem intensiven Krafttraining kann dehnen aber auch kontrainduzierend wirken, den Muskelkater also noch verstärken.
Wie vertrauenswürdig und hilfreich sind die aktuellen Wearables?
Automatisierte Analyseverfahren, die uns wie viele Wearables derzeit nur das Endergebnis übermitteln, werden künftig immer wichtiger und wertvoller. Aktuell muss man aber noch vorsichtig sein, weil die dahintersteckenden Algorithmen nicht bekannt und transparent genug sind. Versprechen mancher Hersteller, die Uhr sage ganz genau, was jetzt trainiert werden muss, können derzeit aufgrund der Komplexität einfach nicht stimmen. Deswegen muss man da vorsichtig sein und lieber auf Basics setzen, wie Ruheherzfrequenz. Das ist bestimmt kein Hexenwerk und hat dennoch Aussagekraft.
Wearables: Smarte Helfer für den Sport
Welche Unterschiede gibt es zwischen Männern und Frauen bei der Regeneration?
Die biologischen Unterschiede führen im Mittel durchaus dazu, dass sich Männer tendenziell stärker ermüden und wegen der meist größeren Muskelmasse auch länger zur Regeneration brauchen. Bei Frauen kommt der Menstruationszyklus als wichtiger Faktor hinzu, den es in der Trainingsplanung und auch bei der Regeneration zu berücksichtigen gilt.
Und was ändert sich bei der Regeneration mit zunehmendem Alter?
Ältere brauchen oft länger zur Regeneration, daher nimmt ihre Bedeutung zu. Wir haben hierbei aber auch beobachtet, dass ältere Personen ihre Grenzen meist besser kennen und sich im Training weniger stark ausbelasten. Insgesamt gibt es aber noch sehr wenige Daten zu diesem spannenden Thema, das ja selbst im Leistungssport immer präsenter wird. Man sieht hier jedenfalls inzwischen häufiger 35-Jährige gegen 20-Jährige auf höchstem Leistungsniveau gegeneinander antreten.