© Jo Kleindl
Der Feinschliff ist erledigt, das Ziel ist klar: Tokio, mit Umweg über Rotterdam. Nach erfolgreicher Vorbereitung reist das Wasserball-Nationalteam am Freitag in die Niederlande, wo am Sonntag das Olympia-Qualifikationsturnier angepfiffen wird. Zwölf Länder kämpfen dort um die letzten drei Plätze für Tokio. DSV-Kapitän Julian Real (31) von Waspo 98 Hannover ist optimistisch, dass seine Mannschaft am Ende das Ticket lösen kann. “Wir sind ein noch besseres Team als vorher”, sagt er.
Sechs Wochen war die Nationalmannschaft fast durchgehend in der Blase in der Sportschule der Bundeswehr in Warendorf. Wie ist die Stimmung im DSV-Team vor der Abreise nach Rotterdam?
Julian Real: Die Stimmung ist sehr gut, von Lagerkoller kann keine Rede sein. Wir haben die lange Zeit, die wir jetzt zusammen waren, genutzt, um als Mannschaft noch enger zusammenzuwachsen. In Warendorf haben wir viel miteinander geredet: über Wasserball, aber auch über viele Dinge außerhalb des Beckens. Wir sind dadurch jetzt ein noch besseres Team als vorher. Wir fahren auf jeden Fall gut vorbereitet nach Rotterdam. Die Trainingsbedingungen in der Sportschule der Bundeswehr waren ausgezeichnet und wir haben uns in der Blase zu jedem Zeitpunkt absolut sicher gefühlt.
Allerdings hat das DSV-Team einige Ausfälle zu verkraften: Tobias Preuß, Dennis Eidner, Ben Reibel und Torwart Kevin Götz werden beim Qualifikationsturnier fehlen.
Julian Real: Ich sehe das als Chance für unsere jungen Spieler. Sie haben in der Vorbereitung einen wirklich guten Job gemacht, sich konditionell sehr stark präsentiert und zudem gutes Ballgefühl und Spielübersicht bewiesen. Mit ihrer Schnelligkeit machen sie unser Spiel noch variabler und helfen uns beim Konter, schnelle Torabschlüsse zu generieren. Auf diese Weise wollen wir unsere Gegner überraschen.
Kommt es angesichts der Ausfälle nicht trotzdem noch mehr auf Spieler wie dich oder Marko Stamm an?
Julian Real: Na klar, wir sind die beiden Spieler mit der meisten Erfahrung. Jetzt liegt es umso mehr an uns, die Mannschaft zu führen. Aber wir nehmen diese Aufgabe gerne an.
Ihr seid neben Bundestrainer Hagen Stamm auch die einzigen, die schon einmal Olympische Spiele erlebt haben. 2008 in Peking warst du als jüngster deutscher Wasserballer aller Zeiten bei Olympia dabei. Erinnerst du dich noch oft daran zurück?
Julian Real: Ja, und es sind wunderschöne Erinnerungen. Es war überwältigend, so viele Eindrücke. Als junger Mensch konnte ich das damals gar nicht alles begreifen. Olympia ist einfach noch einmal eine ganz andere Hausnummer als Welt- und Europameisterschaften. Und genau deshalb möchte ich in diesem Jahr noch einmal dorthin. Das ist es, was mich und die anderen Spieler antreibt.
© Jo Kleindl
Wie wichtig ist die Olympiaqualifikation für den deutschen Wasserball?
Julian Real: Die Nationalmannschaft ist das Flaggschiff unserer Sportart. Wenn wir erfolgreich sind, profitiert der Wasserball in Deutschland auch insgesamt davon. Ein Auftritt bei Olympia und die entsprechende Medienpräsenz würde noch mehr Jugendliche motivieren, es selbst einmal mit diesem Sport zu versuchen. Das gilt diesmal umso mehr, weil in den Mannschaftssportarten bislang erst wenige deutsche Teams für Tokio qualifiziert sind und die Wirkung für die Öffentlichkeit umso größer wäre, wenn wir es schaffen würden.
Zum Auftakt des Turniers trifft das deutsche Team am Sonntag (16:00 Uhr, kostenpflichtiger Livestream auf www.finatv.live) auf Gastgeber Niederlande. Ein schlagbarer Gegner?
Julian Real: Wir müssen dieses Spiel gewinnen, um damit gleich ein Zeichen zu setzen und mit einem guten Gefühl in das Turnier zu starten. Bei der EM 2020 landeten die Holländer zuletzt nur auf Platz 15, aber ich bin mir sicher, dass sie sich in eigener Halle jetzt ganz anders präsentieren werden. Aber wenn wir unsere Qualitäten ins Wasser bringen, brauchen wir keine Angst haben. Die Favoriten in unserer Gruppe sind ohnehin andere, vor allem Russland und Ex-Weltmeister Kroatien. Wobei wir im Duell mit den Russen den Vorteil haben, dass zwei ihrer Stars, Ivan Nagaev und Dmitrii Kholod, in Deutschland bei Waspo 98 Hannover beziehungsweise den Wasserfreunden Spandau 04 spielen. Unser Torwart Moritz Schenkel kennt ihre bevorzugten Schüsse also schon und kann sich darauf einstellen.
Welche Mannschaften sind in der Parallelgruppe zu beachten?
Julian Real: Das sind vor allem Griechenland und Montenegro, die sich zuletzt bei der Europaqualifikation der Weltliga stark präsentiert haben. Mit diesen beiden und den Kroaten aus unserer Gruppe sind drei absolute Wasserball-Schwergewichte beim Turnier dabei. Mindestens einen davon müssen wir schlagen, wenn wir zu Olympia wollen. Das wird eine sehr große Herausforderung, aber wir haben in der Vergangenheit schon des Öfteren bewiesen, dass wir über uns hinauswachsen können.
Deutschland ist also nur Außenseiter?
Julian Real: Ja, ich würde unsere Chancen auf 20 bis 30 Prozent beziffern. Aber wir fühlen uns wohl in der Außenseiterrolle. Bei der Olympiaqualifikation 2012 in Edmonton (CAN) waren damals wir der Favorit und sind letztlich kläglich gescheitert. Als Underdog können wir diesmal frei aufspielen. Der Druck liegt eindeutig bei den anderen.
Der Modus des Olympia-Qualifikationsturniers ist extrem, mit bis zu acht Spielen in acht Tagen. Kommt es da noch mehr als sonst darauf an, als Team gut zu funktionieren, weil keine Zeit bleibt, solche Dinge noch zu korrigieren?
Julian Real: Im Prinzip sind es in Rotterdam acht Tage lang nur spielen, schlafen, spielen. Da ist es essenziell, dass jeder von Anfang an seine Rolle kennt. Gerade dafür ist die gemeinsame Zeit in Warendorf so wichtig gewesen. Jeder von uns weiß genau, was er zu tun hat, so dass wir uns ab jetzt nur noch auf den jeweils nächsten Gegner konzentrieren müssen. Wenn wir das machen, werden wir am Ende erfolgreich sein.