IDM in Berlin: Verena Schotts ungewöhnlich frühes Comeback als dreifache Mutter

Raik Hannemann
Raik Hannemann
20:20

Ein außergewöhnliches Comeback bei der IDM in Berlin lenkt die Blicke auf ein brisantes Thema im Spitzensport: Was Para-Schwimmerin Verena Schott nach ihrer Geburt antreibt – und welche strukturellen Probleme Leistungssport-Mütter bewegen.

Seit 2009 gewann Verena Schott regelmäßig Medaillen bei internationalen Titelkämpfen, und das in allen Stilarten. Aktuell rechnet sie sich beim Brustschwimmen am meisten aus© Tino Henschel

Seit 2009 gewann Verena Schott regelmäßig Medaillen bei internationalen Titelkämpfen, und das in allen Stilarten. Aktuell rechnet sie sich beim Brustschwimmen am meisten aus

Die Internationalen Deutschen Meisterschaften (IDM) locken Jahr für Jahr die besten Para Schwimmer*innen aus aller Welt nach Berlin. 2024 wurden in der SSE dabei gleich 20 Weltrekorde aufgestellt. In diesem Sommer finden die IDM-Wettkämpfe vom 19. – 22. Juni statt, neben Paralympics-Siegern wie Taliso Engel und Josia Topf steht dabei auch ein ungewöhnliches Comeback im Blickpunkt: Verena Schott möchte sich bei der IDM nur fünf Monate nach der Geburt von Tochter Stella schon wieder für die Weltmeisterschaften in Singapur (21. – 27. September) empfehlen.

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Bei den Paralympics in Paris (FRA) trat Schott im vergangenen Sommer an, obwohl sie bereits im fünften Monat schwanger war. Platz fünf über 100m Brust sprang als bestes Resultat heraus, dazu kamen zwei siebte Plätze über 100m Rücken und 200m Lagen in der Startklasse sechs. Seit einem Fahrradunfall im Jahr 2002 lebt die 36-Jährige mit einer inkompletten Querschnittslähmung und ist auf den Rollstuhl angewiesen. „Es waren nicht die Glanzleistungen, die man sich vielleicht erhofft hatte. Aber mein Trainer und ich wussten ja, woher das kam“, sagte Schott, die mehrfach Welt- und Europameisterin war und auch schon vier Paralympicsmedaillen (2012 und 2021) gewann. Maik Zeh ist übrigens nicht nur ihr Trainer, sondern auch privat ihr Partner. Gemeinsam haben sie auch noch die Söhne Lean (13) und Teo (11).

IDM in Berlin ist ihr erster Wettkampf nach der Geburt des drittes Kindes

Die besondere Situation von Müttern im Leistungssport wurde zuletzt intensiv wie nie diskutiert, nachdem die sehbehinderte Paralympics-Siegerin Elena Semechin (geb. Krawzow) öffentlich über ihre Schwangerschaft sprach, die finanzielle Probleme mit sich brachte, weil Sponsoren ihre Förderung deswegen einstellten oder pausieren. „Das sind schon Gedanken und Sorgen, die man sich macht. Wie finanziere ich mich dann, dann kommt ja noch ein Menschlein dazu“, sagte Semechin im ZDF-„Sportstudio“. „Da wünsche ich mir einfach mehr Unterstützung für alle werdenden Mütter in allen Sportarten.“

“Das Thema wird eigentlich immer brisanter, weil immer mehr Sportlerinnen gern Kinder möchten, bislang aber immer verzichtet haben für den Leistungssport. Die dann vor dem Problem stehen, entweder ich mache weiter oder habe kein Geld mehr.”

Schott kennt diese Probleme und sieht strukturellen Nachholbedarf. Nur mit intensiver Hilfe von Oma und Patentante ist die Familienorganisation im Alltag überhaupt zu meistern für sie als Leistungssportlerin. Und auch für Trainingslager muss die Kinderbetreuung ja immer gesondert bedacht und auch finanziert werden, weil der Kindsvater dort ja immer gleichzeitig als Trainer unterwegs ist. „Ich lebe das schon seit Jahren und das Thema wird eigentlich immer brisanter, weil immer mehr Sportlerinnen gern Kinder möchten, bislang aber immer verzichtet haben für den Leistungssport. Die dann vor dem Problem stehen, entweder ich mache weiter oder habe kein Geld mehr. Hier wäre mehr Unterstützung wünschenswert. Das Mama-Sein darf nicht gleichzeitig das Karriereende bedeuten“, sagte Schott

Bei den Paralympics in Paris belegte Verena Schott Platz fünf über 100m Brust. War dabei bereits im fünften Monat schwanger© Tino Henschel

Bei den Paralympics in Paris belegte Verena Schott Platz fünf über 100m Brust. War dabei bereits im fünften Monat schwanger

Bei längerer Pause würden finanzielle Einbußen drohen

Auch ihr schnelles Comeback hat aber durchaus mit finanziellen Zwängen zu tun. „Ja, es ist ambitioniert. Aber am Ende kannst du dir es nicht wirklich aussuchen. Denn fährst du nicht mit zur WM, bist du halt nicht mehr im Kader“, sagte sie. „Du würdest dann zwar in den Come-back-stronger-Programm der Sporthilfe kommen, aber der ist unter finanziellen Gesichtspunkten nicht annährend vergleichbar.“ Und Schott hat dabei noch Glück, dass ihr Verein BPRSV einen Fördertopf für die Kinderbetreuung nutzen kann, den mehrere Landesministerien in Brandenburg geschaffen haben, um Leistungssportlerinnen zu unterstützen. So etwas haben aber längst noch nicht alle Bundesländer eingerichtet.

“Im Training kann ich langsam wieder Intensitäten einbauen, natürlich ohne dass ich an Bestzeiten herankomme. Das braucht Zeit, das wussten wir aber.“

„Meine Kinder und das Wasser lassen mich jeden Morgen aufstehen“, sagte Schott. Und gern würde sie ihre Leidenschaft fürs Schwimmen noch weiter ausleben, solange sie Medaillenpotenzial bei internationalen Meisterschaften besitzt. In enger Absprache mit Bundestrainerin Ute Schinkitz („Es braucht hier immer gemeinsame Lösungen“) versucht sie daher nun auch die WM-Teilnahme zu erreichen, obwohl sie nach der Geburt mehrere Monate nicht im Wasser war. Die kleine Stella würde dann auch mit nach Singapur kommen dürfen, obwohl die Kinder bei internationalen Titelkämpfen normalerweise nicht mit dabei sind. „Wir gucken einfach, was geht. Im Training kann ich langsam wieder Intensitäten einbauen, natürlich ohne dass ich an Bestzeiten herankomme. Das braucht Zeit, das wussten wir aber“, so Schott. „Bis zur WM sind es dann ja noch zweieinhalb Monate Zeit, in denen eine Menge passieren kann. Die IDM möchte ich aber auf jeden Fall nutzen, um wieder reinzukommen.“

Taliso Engels schnelle Rückkehr von Let’s Dance zum Schwimmen

Verena Schott will trotz Leistungssport Vollblutmama sein können

Es ist ein Versuch, unter Druck setzen will sich Verena Schott dabei aber nicht. Sie betont: „Bei den beiden Jungs habe ich damals auch direkt wieder mit dem Training angefangen. Ich konnte die Kinder gar nicht so genießen. Diesmal will ich den Spagat besser schaffen. Ich will auf jeden Fall nicht nur Vollblutsportlerin sein, sondern auch Vollblutmama.“ Und gern darf wie bei Kollegin Semechin auch eine Windelfirma als Unterstützerin hinzukommen.

 

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Mehr Informationen

Deutsche Medaillengewinner*innen bei den Paralympics 2024 im Schwimmen

GOLD
Elena Semechin (Berliner Schwimmteam) 100m Brust (SB13) 1:12,54 Minuten (WR)

Tanja Scholz (PSV Union Neumünster) 150m Lagen (SM4) 2:51,31 Minuten (DR)

Taliso Engel (SG Bayer) 100m Brust (SB13) 1:01,90 Minuten (VL: 1:01,84/WR)

Josia Topf (SV Erlangen) 150m Lagen (SM3) 3:00,16 Minuten

SILBER
Gina Böttcher (SC Potsdam) 50m Rücken (S4) 51,40 Sekunden

Tanja Scholz (PSV Union Neumünster) 50m Freistil (S4) 40,75 Sekunden

Josia Topf (SV Erlangen) 50m Rücken (S3) 47,06 Sekunden

BRONZE

Mira Jeanne Maack (Berliner Schwimmteam) 100m Rücken (S8) 1:18,36 Minuten

Maurice Wetekam (SG Bayer) 100m Brust (SB9) 1:07,04 Minuten

Josia Topf (SV Erlangen) 50m Freistil (S3) 45,61 Sekunden