Die einzige männliche Synchronschwimmgruppe Deutschlands kämpft gegen Vorurteile und für Anerkennung im Sport. Erfahre, wie sie die Grenzen durchbrechen, ihre Anfänge fanden und warum Männer bis heute bei Olympia nicht teilnehmen dürfen.
Beim Frankfurter Volleyball-Verein gibt es die einzige männliche Synchronschwimmgruppe in ganz Deutschland. Synchronschwimmen – Nicht nur für Frauen:
Das bis dahin so flüssige Gespräch gerät ins Stocken. Ralph Schütte überlegt. Dann wiederholt er noch einmal die Frage, über die er nachdenkt: „Ob wir schon einmal in einem Wettkampf gegen Frauen Vorletzter geworden sind?“ Und nach einem weiteren Moment der Stille antwortet der 57-Jährige: „Ich glaube nicht. Das heißt jedoch nicht, dass wir noch nie auf dem Podium gestanden haben, denn in unserer Altersklasse ist die Teilnehmerzahl überschaubar. Leider.“
Allein unter Frauen. So könnte man die sportliche Aktivität von Ralph Schütte und seinen sieben Teamkollegen beschreiben. Sie bilden die einzige männliche Synchronschwimm-Gruppe im Deutschen Schwimm-Verband e.V. (DSV). Und das schon seit dem vergangenen Jahrhundert. Bis 1995 war Ralph Schütte wie auch Emanuel Müller, mit dem er bis heute im Synchron-Duett antritt, noch Schwimmer im Frankfurter Volleyball-Verein. „Damals waren wir bei einem Schwimmwettkampf in Den Haag (NED). In einer Pause gab es eine Showeinlage der holländischen B-Nationalmannschaft im Synchronschwimmen. Das hat uns so gut gefallen, dass in uns der Wunsch gereift war: Das machen wir auch“, erinnert sich Schütte.
Es war einmal ein reiner Männersport
Gesagt, getan. Die Frankfurter begannen mit den Grundlagen des Synchronschwimmens. An Wettkämpfe dachten sie nicht. Erstens waren sie als Männer gar nicht zugelassen, und zweitens, das gibt Schütte zu, hatten sie noch gar nicht die Fähigkeiten. Ihr Exotenstatus hatte sich jedoch herumgesprochen, es gab Anfragen aus dem kulturellen Bereich. 2003 gab es dann doch die Gelegenheit zu Wettkämpfen: Der DSV ermöglichte ihnen die Teilnahme an Masters-Meisterschaften. „Wir wurden von den Frauen sehr gut aufgenommen“, sagt Schütte. „Auch wenn wir gegen sie keine Chance hatten zu gewinnen, haben wir uns stetig verbessert und die Leistungslücke um ein gutes Stück verkleinert. Man muss bedenken, dass unsere Konkurrentinnen oft ehemalige Nationalmannschaftsschwimmerinnen sind, die ein ganz anderes Ausgangsniveau haben.“
„Wir wurden von den Frauen sehr gut aufgenommen“
Auch wenn das Synchronschwimmen heute fast ausschließlich als Frauensport angesehen wird, ist es ursprünglich ein Männersport gewesen. Bekannt als Reigenschwimmen, war es zunächst eine Sportart, in der Frauen gar nicht erlaubt waren. In einer Zeitschrift aus dem Jahre 1816 schrieb Karl Heinitz: „Das schönste Schauspiel ist es für Zuschauer*innen, wenn sie Jünglinge und Männer im Spiegel des Wassers sich üben und in mannigfaltigsten bildlichen Kunstfiguren sich gruppieren sehen.“ Erste, nach festen Regeln ablaufende Wettkämpfe fanden 1891 in Berlin und 1892 in London statt, wobei auch hier nur Männer teilnehmen durften. 1907 veranstaltete der Damenschwimmverein München das erste Schauschwimmen der Frauen. Jedoch nur vor geladenen Gästen und hinter verschlossenen Türen.
In unserer Zeit ist es genau umgekehrt. Wenn Männer wie im Frankfurter Volleyball-Verein Synchronschwimmen als Sportart ausüben, gelten sie als Exoten und müssen um ihre Anerkennung kämpfen. Seit 2015 gibt es zwar bei Welt- und seit 2016 auch bei Europameisterschaften einen Mixed-Wettbewerb, in dem eine Frau und ein Mann ein Duett bilden. Bei der EM in Rom (ITA) belegten Frithjof Seidel und Michelle Zimmer (beide SC Wedding) Platz vier, überhaupt nimmt die Zahl der Männer im Leistungssport erfreulicherweise zu. „Aber bei Olympischen Spielen dürfen Männer bis heute nicht im Synchronschwimmen antreten“, sagt Ralph Schütte. „Es ist an der Zeit, diese Diskriminierung zu beenden.“
Zu groß fürs flache Becken
Das hoffen aber längst nicht alle: Die russische Olympiasiegerin Natalia Ischtschenko nannte Männer als Synchronschwimmer „widernatürlich“, ihre Duett-Partnerin Swetlana Romaschina ist ebenfalls „kategorisch gegen Männer in unserer Sportart“. Russlands Sportminister Witali Mutko schimpfte bei der WM 2015, die in Kazan (RUS) ausgetragen wurde, es sei eine „dumme“ und „fehlerhafte“ Entscheidung des Weltverbandes, diese neue Disziplin einzuführen. „Aus meiner Sicht ist Synchronschwimmen eine Sportart nur für Frauen.“
Nicht nur die männliche Synchronschwimmgruppe des Frankfurter Volleyball-Vereins kämpft gegen solche Diskriminierungen. Sie sucht allerdings händeringend nach neuen Mitgliedern, zumal Corona den Trainingsbetrieb auch lange erschwert hat. „Wir hatten mal 20 Mitglieder, jetzt sind wir noch acht Männer zwischen 50 und Mitte 60“, sagt Ralph Schütte. Leider konnten sie im Juli nicht an den Deutschen Masters-Meisterschaften in Hamburg antreten. „Das Bad in Hamburg hat nur eine Tiefe von zwei Metern“, erklärt er. „Das ist zu flach für uns. Ich bin über zwei Meter groß. Ich hätte dort keine Übung schwimmen können, ohne mir den Kopf zu stoßen.“ Im nächsten Jahr wollen sie aber auf jeden Fall wieder dabei sein. „Wir arbeiten daran, die Masters-Meisterschaften selbst auszutragen“, sagt Schütte. „Wir sind ein tragender Teil der Synchronschwimm-Community. Und es wäre ein starkes Zeichen.“