Für Jessica Steiger ist die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Tokio der große sportliche Traum, den sich die 28-Jährige im nächsten Jahr unbedingt erfüllen möchte. Die Verschiebung auf das Jahr 2021 (23. Juli – 08. August) aufgrund der Coronavirus-Pandemie bringt für die Schwimmerin vom VfL Gladbeck aber so manche Herausforderung mit sich. Ein Gespräch über den mitunter hohen Preis des Leistungssports, wenn man unbedingt zu Olympia will.
Frau Steiger, Olympia ist das große Ziel. Wie sehen aktuell ihre Trainingsmöglichkeiten aus?
Jessica Steiger: Nichts gegen vermehrtes Landtraining, aber die lange Zeit ohne meine Trainingsgruppe war schon irgendwie blöd. Schwimmen ist zwar ein Einzelsport, aber auch wir brauchen das Miteinander im Verein doch sehr. Deswegen bin ich froh, dass ich derzeit einmal am Tag die 20 Kilometer nach Essen fahren kann, wo Bundeskader am Stützpunkt inzwischen ja wieder Wassertraining absolvieren dürfen. Am 25. Mai soll dann bei uns in Gladbeck das Freibad eröffnen, dann können wir uns wohl langsam wieder dem normalen Ablauf des Vereinslebens nähern. (Antwort gilt so nur zwischen 15. – 25. Mai)
Wie haben Sie die Verschiebung der Olympischen Spiele auf 2021 inzwischen für sich verarbeitet?
Jessica Steiger: Am Tag der Verlegung durch das IOC musste ich schon mit den Tränen kämpfen, auch wenn es ja gar nicht mehr so überraschend kam und wir Sportler untereinander über diese Option ja schon diskutiert und sie auch gefordert hatten. Der Vollzug ist dann aber doch noch mal ein richtiger Schlag ins Gesicht. Ein Schock, nach dem man sich erst besinnen muss, ehe man neue Pläne schmieden kann. Das habe ich inzwischen aber geschafft. Ich lasse mir den Olympiatraum vom Virus nicht zerstören! Ich hatte kurz vor dem Lockdown meine Bestzeit über 100m Brust deutlich verbessert und war wie mein neuer Trainer Marcel Karow überzeugt, dass ich es diesmal endlich zu Olympia schaffe. Nun muss es eben im kommenden Jahr klappen.
Jessica Steigers Bestzeiten:
Strecke | Zeit | Datum | Ort | DSV-Olympianorm 2020 |
---|---|---|---|---|
100m Brust | 1:07,33 | März 2020 | Antwerpen (BEL) | 1:07,00 |
200m Brust | 2:25,00 (DR) | Juni 2017 | Berlin | 2:24,90 |
50m Freistil | 25,11 | August 2019 | Berlin | 24,75 |
100m Freistil | 54,59 | Juli 2019 | Gwangju (KOR) | 54,10 |
Aber es werden nicht nur alle sportlichen Pläne über den Haufen geworfen, oder?
Jessica Steiger: Genau, daran hängt eine ganze Menge. Ich wollte nach dem erfolgreichen Abschluss meines Studiums für Erziehungswissenschaften nun im Herbst ins Berufsleben einsteigen, hatte schon Bewerbungen rausgeschickt und sogar schon eine Einladung zum Bewerbungsgespräch beim allgemeinen sozialen Dienst im Jugendamt von Gladbeck. Aber das wird nun erst mal nichts bei dem nötigen Trainingsaufwand, den es für eine Olympia-Qualifikation braucht.
Sie wollen zu Olympia und nehmen für diesen Traum erhebliche finanzielle Einbußen hin?
Jessica Steiger: Genau. Ich hatte mich schon drauf gefreut, endlich ein bisschen Geld zu verdienen. Aber das kann ich nun wieder knicken. Womöglich muss auch meine Hochzeit eine Nummer kleiner ausfallen, weil ich nicht ganz so viel beisteuern kann wie gedacht. Zum Glück habe ich Ersparnisse.
Sie wollen heiraten?
Jessica Steiger: Ja, der Termin im Mai 2021 ist schon länger gebucht. Auch haben wir schon vierstellig angezahlt in der Party-Location. Jetzt kann aber kommen, dass genau da die Deutschen Meisterschaften als Finale der Olympia-Qualifikation terminiert werden. Dann muss ich für Olympia sogar meine Hochzeit verschieben.
Dann droht aber Ärger mit dem Bräutigam, oder?
Jessica Steiger: Zum Glück nicht. Mein Freund war selber mal Schwimmer und hat dadurch das nötige Verständnis. Und das braucht es auch, denn weil gerade viele Hochzeiten verschoben werden, gibt es mitunter erst in zweieinhalb Jahren wieder Termine an einem Samstag. So war es jedenfalls bei seiner Cousine, die jetzt im Mai heiraten wollte. Und selbst wenn ich Glück habe und die Hochzeit wie geplant feiern kann, stünde statt der Hochzeitsreise danach dann Höhentraining der Sierra Nevada an. Das hatte ich mir auch anders erträumt.
Noch einmal kurz zurück zum Finanziellen. Wie wird das zusätzliche Olympiajahr denn nun bestritten?
Jessica Steiger: Von der Sporthilfe bekomme ich weiter 800 Euro. Das ist toll, denn Miete und Essen sind damit schon mal abgedeckt. Aber es reicht so natürlich weder für Wettkampfanzug, Trainingslager, Nahrungsergänzungsmittel oder psychologische Betreuung. Für diese Summen hatte ich bisher einige Sponsoren gewonnen, die Verträge laufen aber alle im Sommer aus. Manch einer kann sich eine Fortsetzung wegen der aktuellen Krise aber gar nicht mehr leisten. Zum Glück bekam ich dann aber einen guten Tipp!
Stammkraft in den Staffeln
Jessica Steigers Mutter Sandra nahm unter ihrem Mädchennamen Dahlmann an den Olympischen Spielen 1988 teil. Die 28-Jährige möchte dies nun ebenfalls schaffen. Bei der EM 2018 gehörte sie ebenso zur DSV-Staffel über 4x100m Lagen wie 2019 bei der WM 2019. Beide Male sprang dabei Rang sieben heraus, im vergangenen Sommer bedeutete das zugleich den Quotenplatz bei Olympia für Deutschland.
Welchen denn?
Jessica Steiger: Ein ehemaliger Leichtathlet, den ich aus Schulzeiten kenne und dem ich mal Schwimmen beigebracht hatte für den Sporteignungstest an der Uni, hat mir dann Crowdfunding empfohlen. Ich kannte das nicht und hatte Bedenken, in solchen Krisenzeiten um Spenden für eine Sportlerin zu bitten. Doch ich ließ mich überreden und wurde vom Zuspruch geradezu überwältigt. Denn so kamen über 12.000 Euro zusammen, mit denen ich jetzt die Olympiasaison bestreiten kann. Unter den über 100 Unterstützern sind natürlich auch einige Bekannte, die unbedingt das Ringe-Tattoo auf dem Hintern meines Vaters sehen wollen, wenn ich mich wie früher meine Mama Sandra für Olympia qualifiziere. Seit ich über diese Wette zwischen uns mal in einem Interview geredet habe, werden wir – und vor allem er – ständig darauf angesprochen.
Jessica Steiger will zu den Olympischen Spielen in Tokio, hat aber Angst vor einer erneuten Corona-Absage
Sie richten ihr Leben mindestens ein weiteres Jahr nur nach dem Sport aus. Trotz der derzeitigen Lockerungen ist noch nicht absehbar, wann die Coronavirus-Pandemie vollständig unter Kontrolle zu bekommen ist. Wie gehen Sie mit der Ungewissheit um?
Jessica Steiger: Ich habe mir darüber schon Gedanken gemacht und mich auch mit anderen Athleten darüber unterhalten. Die haben ebenso große Angst davor wie ich, dass die Spiele vielleicht auch 2021 nicht stattfinden könnten. Sich jetzt noch ein Jahr zu quälen und dann noch einmal enttäuscht zu werden, das wäre extrem bitter und würde mir den Boden unter den Füßen wegreißen. Ich werde ja nicht jünger, kann das jetzige Niveau nicht ewig halten.
Macht Ihnen eigentlich Angst, dass wegen der Pandemie derzeit auch die Dopingkontrollen nicht stattfinden?
Jessica Steiger: Wenn in Russland und China weitertrainiert wird ohne Kontrollen, bekomme ich schon Angst, dass es zu Verzerrungen kommt. Ich wurde im März letztmals kontrolliert, muss laut einer Mail von der Nada aber weiter ständig mein Aufenthaltsort ins Adams-System einpflegen. Das finde ich auch in Ordnung. So kann sich keiner sicher sein, dass es nicht zu einer Kontrolle kommt. Auch dass in Deutschland jetzt eine Blutstropfenanalyse entwickelt wurde, die online überwacht werden kann, finde ich gut. Doch ob überall so konsequent an diesem Thema gearbeitet wird, wage ich zu bezweifeln.