Deutsches Schwimmteam bei den Paralympics im Goldrausch

Raik Hannemann
Raik Hannemann
15:10

Tanja Scholz, Elena Semechin, Josia Topf und Taliso Engel siegen bei den Paralympics in Paris, insgesamt gewinnen die Schwimmer*innen zehn Medaillen in der La Défense Arena.

Elenea Semechin und Taliso Engel posieren für die Kameras mit ihren Goldmedaillen© pa/dpa | Jens Büttner

Elenea Semechin und Taliso Engel posieren für die Kameras mit ihren GoldmedaillenPara-Team feiern ihre Goldmedaillen.

Dieser verregnete Donnerstag in Paris (FRA) endete am Abend genauso traumhaft, wie sich das viele Fans für das deutsche Para-Schwimmen vor diesem Sommer erhofft hatten. Elena Semechin (geb. Krawzow) und Taliso Engel erkämpften innerhalb weniger Minuten Gold in der La Défense Arena und wiederholten mit ihren Weltrekorden über 100m Brust in der Startklasse 13 tatsächlich die Paralympics-Siege von Tokio 2021.

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„Der Wille kann Berge versetzen, das habe ich mir heute bewiesen“, jubelte Semechin. Drei Jahre nach der Diagnose Hirntumor schaffte es die 30-Jährige erneut ganz nach oben, obwohl sie ihr Training nach anstrengender Krebstherapie komplett umstellen musste. Der ebenfalls sehbehinderte Engel hatte im Frühjahr 2023 auch sein Hörvermögen auf dem rechten Ohr verloren, verbesserte trotz der zusätzlichen Beeinträchtigung nun aber ebenfalls noch einmal seine Bestzeit. „Ich hatte seit Tokio nicht so eine gute Zeit. Hatte viele Krankheiten und bin viel aus dem Training raus gewesen. Jetzt trotzdem so eine Steigerung ist schon krass. Da bin ich schon sehr zufrieden“, meinte der 22-Jährige. Die Spiele 2028 in Los Angeles (USA) und damit auch der Goldhattrick seien jetzt sicher ein Thema für ihn. „Ziel ist es, irgendwann Richtung 1:00 Minute zu kommen“, so Engel.

Spätestens an diesem Tag war damit bereits abzusehen, dass das Schwimmteam diesmal das erfolgreichste für Deutschland werden würde. Denn vorher hatten auch schon Tanja Scholz und Josia Topf gewonnen, zu den vier Goldmedaillen kamen am Ende noch je dreimal Silber und Bronze hinzu. Insgesamt kam Team Deutschland bei den Paralympics mit 49 Medaillen (10x Gold, 4 Silber und 25x Bronze) diesmal auf Rang elf im Medaillenspiegel.

Vor vier Jahren dachte Tanja Scholz, ihr Leben wäre vorbei

Das Schwimmteam bei den Paralympics im Goldrausch. Wie Lukas Märtens gut einen Monat zuvor sorgte Scholz dabei auch für den ersten deutschen Sieg überhaupt, allerdings erst in ihrem dritten Rennen. Die ersten beiden waren noch nicht optimal gelaufen, weil die kühle Wassertemperatur im Becken Spasmen bei ihr auslösten, doch dann wurde auf ihrer Lieblingsstrecke doch noch alles gut. „Vor vier Jahren war ich noch in einer Klinik und dachte, mein Leben ist vorbei. Und jetzt bin ich hier und habe Gold gewonnen“, jubelte die 40-Jährige, die seit einem Reitunfall im Juni 2020 querschnittsgelähmt ist.

Tanja Scholz strahlt nach dem Anschlag im Wasser© picture alliance/Laci Perenyi

Gold und Silber in Paris: Tanja Scholz hat allen Grund zu strahlen

Die Lähmung sei zu hoch für Aktivitäten im Wasser, befanden Reha-Spezialist*innen damals zunächst. Doch Scholz probierte es trotzdem, in ihrer Jugend war sie schließlich bereits aktive Schwimmerin gewesen und hatte in Elmshorn bei Bernd Berkhahn trainiert, später hatte die dreifache Mutter auch wieder an Masters-Wettkämpfen teilgenommen. Nach dem Unfall musste sie aber zunächst schwere Depressionen überstehen. Die Rückkehr ins Becken gab ihr schließlich den Auf- und Antrieb, neue Perspektiven im Leben zu finden. Scholz: „Wäre ich nicht zum Schwimmen zurückgekehrt, wäre mein Leben sicher anders verlaufen.”

“Es fühlt sich irreal an. Man kann das gar nicht glauben, was hier alles abgeht”

So aber erlebte sie nun Paralympische Spiele mit, die nicht nur für sie ähnlich rauschhaft abliefen wie die Olympischen zuvor. Stimmungsmäßig gab es dabei jedenfalls kaum einen Abfall, das belegen auch die insgesamt gut 2,4 Millionen verkauften Eintrittskarten. Den Lärm in der Schwimmhalle bezeichnete Scholz als Wahnsinn. Ihr sei das alles „sogar ein bisschen zu groß. Es fühlt sich irreal an. Man kann das gar nicht glauben, was hier alles abgeht.“

Bundestrainerin kritisiert das Fördersystem

Erfolgreichster Medaillensammler im Team D wurde in Paris Josia Topf, der einen kompletten Medaillensatz aus dem Becken fischte. „Es waren sehr harte Jahre für mich und meine Familie. Jetzt so rauszukommen und diesen Erfolg zu feiern bedeutet mit sehr, sehr viel”, sagte der 21-Jährige aus Erlangen. Topf hat das TAR-Syndrom, was unter anderem bedeutet, dass seine Hände direkt an seinen Schultern angewachsen, seine Beine ungleich und versteift sind. Doch schon als Kind stellte er fest, dass er im Wasser in seinem Element ist. Hier kann er sich frei bewegen, was ihm an Land aufgrund seiner körperlichen Einschränkungen nicht möglich ist. „Ich wäre (ohne die Beeinträchtigung durch TAR, Anm. d. Red.) wahrscheinlich 1,90 Meter – und diese 1,90 spüre ich an manchen Tagen in mir”, sagte Topf in einer ZDF-Doku. Der Student der Rechtswissenschaften wird sich in den Jahren bis 2028 nun aber auch weiter dafür einsetzen, dass in seiner Startklasse nicht mehr mit Kopf angeschlagen werden muss. Denn das kann zu Schäden führen, auch in Paris bekam Topf nach den Rennen deswegen Kopfschmerzen.

Josia Topf mit Medaille auf der Ehrenrunde nach der Siegerehrung© Mathias Schulz/DBS

Josia Topf durfte gleich dreimal auf Ehrenrunde gehen, jedesmal hatte die Medaille eine andere Farbe

Denkanstöße zur Sportförderung gab trotz der Pariser Erfolge Bundestrainerin Ute Schinkitz. Hierzulande würde für die hauptamtlichen Trainer*innen viel zu wenig getan, Jahresverträge und niedriges Gehaltsniveau böten jungen Leuten immer weniger Perspektive im Sport. „Auf dieser Basis sind keine Spitzenleistungen möglich. Deutschland kann nicht mehr den Anspruch haben, Weltspitze zu sein“, sagte Schinkitz zur Ankündigung, der Deutsche Behindertensportverband (DBS) müsse im kommenden Jahr 600.000 bis 700.000 Euro an Personalkosten einsparen.

Deutsche Medaillengewinner*innen bei den Paralympics 2024 im Schwimmen

GOLD
Elena Semechin (Berliner Schwimmteam) 100m Brust (SB13) 1:12,54 Minuten (WR)

Tanja Scholz (PSV Union Neumünster) 150m Lagen (SM4) 2:51,31 Minuten (DR)

Taliso Engel (SG Bayer) 100m Brust (SB13) 1:01,90 Minuten (VL: 1:01,84/WR)

Josia Topf (SV Erlangen) 150m Lagen (SM3) 3:00,16 Minuten

SILBER
Gina Böttcher (SC Potsdam) 50m Rücken (S4) 51,40 Sekunden

Tanja Scholz (PSV Union Neumünster) 50m Freistil (S4) 40,75 Sekunden

Josia Topf (SV Erlangen) 50m Rücken (S3) 47,06 Sekunden

BRONZE

Mira Jeanne Maack (Berliner Schwimmteam) 100m Rücken (S8) 1:18,36 Minuten

Maurice Wetekam (SG Bayer) 100m Brust (SB9) 1:07,04 Minuten

Josia Topf (SV Erlangen) 50m Freistil (S3) 45,61 Sekunden